Page 29 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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die wiener philharmoniker: geschichte und struktur
            dass alle Mitglieder, die nicht auf der jeweiligen Konzertreise sind, der Oper
            jeden Tag zur Verfügung stehen, obwohl sie dazu laut Dienstvertrag nicht
            verpflichtet wären; sie tun dies aber als Mitglieder der Wiener Philharmo-
            niker freiwillig, da ansonsten keine Reiseerlaubnis möglich wäre.
                 Diese Zusammenarbeit zwischen einer staatlichen Institution und ei-
            nem unabhängigen privaten Verein ist das Ergebnis eines wechselseitigen
            Verständnisses, das sich nach anfänglichen Problemen kontinuierlich zu
            einer Symbiose entwickelte. Längst steht außer Frage, wie vorteilhaft es
            für Oper und Philharmoniker ist, sich auf verschiedenen Wegen einem ge-
            meinsamen Ziel, dem Ringen um Kunstausübung in höchster Qualität zu
            widmen. Um zu erreichen, dass jede der beiden Institutionen neben der ei-
            genen künstlerischen Verantwortlichkeit auch jene der anderen verinner-
            licht und nach Kräften unterstützt, musste die Zusammenarbeit über eine
            bloße Koordinierung der Termine hinausgehen: Die „technische“ Symbio-
            se bedurfte der Metamorphose in eine ideelle. Mit anderen Worten: Die auf
            dem Konzertpodium erarbeitete Orchesterqualität kommt der Oper zugu-
            te, während die permanente Konfrontation mit der Opernliteratur – Mit-
            glieder eines Symphonieorchesters spielen kaum jemals Werke etwa von
            Wagner, Verdi oder Puccini, umgekehrt sind Angehörige eines Opernor-
            chesters nie mit symphonischer Literatur befasst! – und mit dem natür-
            lichsten „Instrument“, der Vox Humana, die Musizierweise der Wiener
            Philharmoniker maßgeblich beeinflusst.
                 Die Basis der philharmonischen Tätigkeit sind seit 1860 die Abon-
            nementkonzerte, heute je zehn Konzerte am Samstagnachmittag und am
            Sonntagvormittag. Ein dritter Zyklus findet seit der Saison 1999/2000 am
            Abend statt. Dazu kommen Konzerte im Rahmen der Wiener Festwochen
            sowie für die Gesellschaft der Musikfreunde, Erbauerin und Eigentümerin
            des Musikvereinsgebäudes mit dem weltberühmten Goldenen Saal, in dem
            das Orchester auch das weltweit bekannteste Klassikkonzert veranstaltet –
            das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Diese Hommage an die
            einzigartige Dynastie Strauß findet seit 1941 statt und wird seit 1959 vom
            Österreichischen Fernsehen übertragen sowie von mittlerweile rund 100
            Ländern (zu einem großen Teil live) übernommen.
                 Die Reisetätigkeit weist einige Fixpunkte auf. Im September ist das
            Ensemble alljährlich zu Gast beim renommierten Lucerne Festival. Es folgt
            eine (1993 etablierte und zumeist acht bis neun Konzerte umfassende) „Wie-
            ner Philharmoniker-Woche in Japan“, die oft mit Gastspielen in China, Ko-
            rea oder Taiwan verbunden ist. Ende Jänner gastieren die Philharmoniker


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