Page 28 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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andauernd mit der Realität des Alltags konfrontiert und können dadurch
kritische Situationen oder Entwicklungen anders beurteilen als ein an den
Schreibtisch gebundener Dienstvorgesetzter.
Die Demokratie als anspruchsvollste Form des Zusammenlebens
ist der effizienteste Garant für die Freiheit und Selbstverwirklichung al-
ler Menschen, und in diesem Sinne bieten die Wiener Philharmoniker seit
nunmehr 182 Jahren ein kleines, aber gerade deshalb überschaubares Bei-
spiel einer Gemeinschaft, die zwar aus der Summe vieler Einzelinteressen
besteht, aber einer übergeordneten Idee dient – in diesem Fall dem unab-
lässigen Bemühen um maximale künstlerische Qualität.
Eine oft gestellte Frage lautet: Wie wird man Mitglied der Wiener Phil-
harmoniker? Wenn eine Stelle im Staatsopernorchester vakant ist, wird sie
international ausgeschrieben. Die Direktion der Staatsoper lädt entspre-
chend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zu einem Probespiel ein,
das vor einer Jury stattfindet, die aus etwa 25 Orchestermitgliedern und ei-
nem Vertreter der Direktion besteht. Jedes Jurymitglied vergibt zwischen 2
und 20 Punkte, wer im Durchschnitt zumindest 11 Punkte erhält, erreicht
die nächste Runde. Wer nach (zumeist) drei oder vier, in seltenen Fällen
fünf Runden die meisten Punkte hat, wird der Direktion zum Engagement
vorgeschlagen. Dem gewonnenen Probespiel folgt eine Probezeit, die ma-
ximal zwei Jahre dauert; danach tritt die Jury erneut zusammen und bestä-
tigt entweder das Engagement oder schlägt eine Verlängerung der Probe-
zeit vor oder empfiehlt eine Beendigung des Vertragsverhältnisses.
Ab dem Dienstantritt im Orchester der Wiener Staatsoper spielen alle
Neuengagierten auch bereits bei den Wiener Philharmonikern, sind aller-
dings noch nicht Mitglieder. Der Antrag auf Aufnahme in den Verein kann
frühestens nach drei Jahren gestellt werden; es gibt kein neuerliches Vor-
spiel, sondern eine Abstimmung in der Hauptversammlung. Danach ist
man aktives Mitglied der Wiener Philharmoniker und bleibt dies bis zur
Erreichung des Pensionsalters in der Staatsoper, das derzeit 65 Jahre be-
trägt. Gleichzeitig mit dieser Pensionierung wird man nichtaktives Mit-
glied der Wiener Philharmoniker.
Alle Mitglieder spielen somit in zwei Orchestern. In der Staatsoper
stehen von 1. September bis 30. Juni beinahe 300 Opernabende auf dem
Programm, zu denen etwa 100 Proben kommen. Die Philharmoniker be-
streiten in dieser Zeit rund 100 Konzerte, etwa die Hälfte davon in Wien
beziehungsweise in Österreich. Während einer Tournee sind sie verpflich-
tet, der Staatsoper ein spielfähiges Orchester zu garantieren. Dies bedeutet,
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