Page 224 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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musica et artes
rakter dieses „Largos“ durchaus auch unreflektiert solche Bilder aufrufen
könnte. Was sollte das ergreifende Solo des Englisch Horns, grundiert von
sanften Streichern, auch anderes ausdrücken wollen als die Klage eines verlas-
senen, vereinsamten und seelisch verwundeten Menschen, der nicht nur die
Frau, sondern auch seine beiden Kombattanten zu Grabe tragen musste! Die
instrumentale Klage wird durch Bläser-Akkorde vorbereitet, in harmonisch
kühner, durchaus rätselvoller chromatischer Verspannung, deren choralhafte
Attitüde zwar auf einen Toten-Kondukt verweisen mag, aber doch auch wie
ein von fern ertönendes, geheimnisvolles Orakel wirkt, das, auch intern glie-
dernd, am Ende wiederkehrt und den Satz ein- und ausleitend umklammert.
Vielleicht ist auch ein klangsymbolisches Vorzeichen kommender christli-
cher Hoheit gemeint, die zunächst nur als leicht befremdlicher Rahmen ei-
ner indianischen Zeremonie figuriert. Der etwas belebtere Mittelteil in cis-
moll – geführt zunächst vom Unisono der ersten Flöte und ersten Oboe,
dann fortgesetzt durch das Terzpaar der beiden Klarinetten, schließlich wie-
derholt im Dialog mit den ersten Violinen – verlässt zwar nicht den Laut des
Klagens, fügt ihm aber eine geradezu „sprechende“ Komponente hinzu, als
ob bitter-süße, träumerisch-zarte Erinnerungen an vergangenes Liebes- und
Eheglück sich hier in imaginierten Zwiegesprächen entfalten. Wahrhaft Er-
staunliches geschieht jedoch erst danach in einer unwiederholten Episode,
die das bisherige Geschehen gleichsam aufbricht und geradezu demiurgisch
von außen mit Gewalt zu einem dramatischen Aufruhr treibt: Zunächst imi-
tieren sich Holzbläser und dann auch Streicher crescendierend zu einem auf-
gestöberten Bündel von Mikromotiven und Trillern, deren Sinn als klangli-
cher Fremdkörper sich vielleicht dadurch erhellt, wenn man bei Longfellow
gelesen hat, dass als Vorboten göttlicher Prophezeiungen „goldene Bienen-
schwärme“ auftauchen. Eine solche Schwarm-Turbulenz führt in der Tat un-
mittelbar zu zwei hereinbrechenden Motiv-Zitaten aus dem ersten Satz, den
Motivköpfen des Hauptthemas und des zweiten Seitenthemas. Dvořák plat-
ziert sie als dramatisch aufgerüstete Fanale, als Symbole eindringlicher Be-
schwörung – etwa als eine der göttlichen Prophetien, die Hiawathas Taten
lenken und leiten. Sie könnten gerade inmitten einer Trauer-Haltung als
Mahnung gedacht sein, trotz privaten Schmerzes noch zu leistende „höhere“
Aufgaben nicht aus dem Blick zu verlieren.
Man kann diese auffällige Stelle freilich auch anders hören – als einen
Ausbruch der Verzweiflung, als Zorn gegen ein ungerechtes Schicksal, wenn
man die Unterstellung wagt, dass in einem sinfonischen Werk dieses roman-
tischen Typus‘ so etwas wie ein klingendes „Ich“ agiert, das nicht das kom-
ponierende Subjekt meint, sondern einen literarischen Helden zu verkör-
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rakter dieses „Largos“ durchaus auch unreflektiert solche Bilder aufrufen
könnte. Was sollte das ergreifende Solo des Englisch Horns, grundiert von
sanften Streichern, auch anderes ausdrücken wollen als die Klage eines verlas-
senen, vereinsamten und seelisch verwundeten Menschen, der nicht nur die
Frau, sondern auch seine beiden Kombattanten zu Grabe tragen musste! Die
instrumentale Klage wird durch Bläser-Akkorde vorbereitet, in harmonisch
kühner, durchaus rätselvoller chromatischer Verspannung, deren choralhafte
Attitüde zwar auf einen Toten-Kondukt verweisen mag, aber doch auch wie
ein von fern ertönendes, geheimnisvolles Orakel wirkt, das, auch intern glie-
dernd, am Ende wiederkehrt und den Satz ein- und ausleitend umklammert.
Vielleicht ist auch ein klangsymbolisches Vorzeichen kommender christli-
cher Hoheit gemeint, die zunächst nur als leicht befremdlicher Rahmen ei-
ner indianischen Zeremonie figuriert. Der etwas belebtere Mittelteil in cis-
moll – geführt zunächst vom Unisono der ersten Flöte und ersten Oboe,
dann fortgesetzt durch das Terzpaar der beiden Klarinetten, schließlich wie-
derholt im Dialog mit den ersten Violinen – verlässt zwar nicht den Laut des
Klagens, fügt ihm aber eine geradezu „sprechende“ Komponente hinzu, als
ob bitter-süße, träumerisch-zarte Erinnerungen an vergangenes Liebes- und
Eheglück sich hier in imaginierten Zwiegesprächen entfalten. Wahrhaft Er-
staunliches geschieht jedoch erst danach in einer unwiederholten Episode,
die das bisherige Geschehen gleichsam aufbricht und geradezu demiurgisch
von außen mit Gewalt zu einem dramatischen Aufruhr treibt: Zunächst imi-
tieren sich Holzbläser und dann auch Streicher crescendierend zu einem auf-
gestöberten Bündel von Mikromotiven und Trillern, deren Sinn als klangli-
cher Fremdkörper sich vielleicht dadurch erhellt, wenn man bei Longfellow
gelesen hat, dass als Vorboten göttlicher Prophezeiungen „goldene Bienen-
schwärme“ auftauchen. Eine solche Schwarm-Turbulenz führt in der Tat un-
mittelbar zu zwei hereinbrechenden Motiv-Zitaten aus dem ersten Satz, den
Motivköpfen des Hauptthemas und des zweiten Seitenthemas. Dvořák plat-
ziert sie als dramatisch aufgerüstete Fanale, als Symbole eindringlicher Be-
schwörung – etwa als eine der göttlichen Prophetien, die Hiawathas Taten
lenken und leiten. Sie könnten gerade inmitten einer Trauer-Haltung als
Mahnung gedacht sein, trotz privaten Schmerzes noch zu leistende „höhere“
Aufgaben nicht aus dem Blick zu verlieren.
Man kann diese auffällige Stelle freilich auch anders hören – als einen
Ausbruch der Verzweiflung, als Zorn gegen ein ungerechtes Schicksal, wenn
man die Unterstellung wagt, dass in einem sinfonischen Werk dieses roman-
tischen Typus‘ so etwas wie ein klingendes „Ich“ agiert, das nicht das kom-
ponierende Subjekt meint, sondern einen literarischen Helden zu verkör-
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