Page 226 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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musica et artes
In seiner fanalhaften, kämpferisch sich entfaltenden Gestik ähnelt es jenen
heldischen Charakteren, die viele Komponisten gerade zum Ende des 19.
Jahrhunderts hin, von César Frank über Brahms und Bruckner bis zu Bo-
rodin oder Tschaikowski, für sinfonische Konstruktionen bevorzugten. In
Dvořáks Fall verbindet sich der heldische Ton höchstwahrscheinlich konkre-
ter mit Longfellows Helden, und was die Musik in der sonatischen Form des
Kopfsatzes vielleicht ausdrücken will, könnte mit dem Heranwachsen und
Reifen Hiawathas, seinen Abenteuern und Heldentaten, Kämpfen und Sie-
gen zum Wohle der ihm anvertrauten Völker zu tun haben. (Es sei hier an-
gemerkt, dass zur Idee der symbolischen Personalisierung, trotz einer situa-
tionsbedingten Gestalt-Veränderung des Themas, die deutliche Bindung an
das Horn als eine Art Leitklang, gegebenenfalls mit Posaunen-Verstärkung,
in allen Sätzen gehört. Im Unterschied zu diesem Instrument, das in der ro-
mantischen Ära oft „Wald“ oder „Jagd“ symbolisiert, hat die eher „militä-
rische“ Assoziation der Trompete vor allem erst im Finale – offenbar wieder
auch inhaltlich begründet – als entsprechendes instrumentales Kolorit eine
leitende Funktion.)
Wenn man das Hauptthema aber Hiawatha zuordnet und daraufhin
sein sinfonisches Schicksal verfolgt, so kann man sich kaum um die Frage
drücken, wie es um die beiden Seitenthemen bestellt ist – dem zuerst auf-
tauchenden, berceusehaften in phrygischem g-moll und dem anderen kan-
tablen, überaus lieblichen in G-Dur, das zuerst der ersten Flöte anvertraut
wird. Will man analog zum Hauptthema eine personale Bindung unterstel-
len, könnte man an Themen für seine beiden heldischen Mitkämpfer denken,
aber ihr eher gewaltloser Charakter lässt dies kaum als plausibel erscheinen.
Eher passt er – sogar im Sinne des sonatischen klischeehaften Gegensatzes
von männlicher und weiblicher Gestik, der Dvořák vertraut gewesen sein
dürfte – zu den beiden Frauen, die für Hiawatha wichtig wurden: der Groß-
mutter einerseits, deren herbere Moll-Motivik allerdings episodisch bleibt (in
der Reprise harmonisch „entrückt“) und keine „durchführende“ Rolle erhält;
und andererseits der geliebten Frau Minehaha, die er von einer seiner Frie-
densmissionen bei den Dakota nach Hause bringt und die ihm an seiner Seite
unentbehrlich wird. Ihre kantable, weiche G-Gur-Motivik (mit dem Haupt-
thema dergestalt verwandt, als sei sie nach biblischem Gleichnis eine Rippe
aus Adams Leib) durchdringt sich in der Durchführung so eng und inten-
siv mit der Motivik des Hauptthemas, so dass man eigentlich Hiawathas dra-
matisches Werben um die Frau und seine liebende Verbindung zu Minehaha
als die beherrschende Aventure in der durchführend auch kämpferischen
Porträt-Studie des Satzes ansehen kann. Und man versteht, warum im zwei-
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In seiner fanalhaften, kämpferisch sich entfaltenden Gestik ähnelt es jenen
heldischen Charakteren, die viele Komponisten gerade zum Ende des 19.
Jahrhunderts hin, von César Frank über Brahms und Bruckner bis zu Bo-
rodin oder Tschaikowski, für sinfonische Konstruktionen bevorzugten. In
Dvořáks Fall verbindet sich der heldische Ton höchstwahrscheinlich konkre-
ter mit Longfellows Helden, und was die Musik in der sonatischen Form des
Kopfsatzes vielleicht ausdrücken will, könnte mit dem Heranwachsen und
Reifen Hiawathas, seinen Abenteuern und Heldentaten, Kämpfen und Sie-
gen zum Wohle der ihm anvertrauten Völker zu tun haben. (Es sei hier an-
gemerkt, dass zur Idee der symbolischen Personalisierung, trotz einer situa-
tionsbedingten Gestalt-Veränderung des Themas, die deutliche Bindung an
das Horn als eine Art Leitklang, gegebenenfalls mit Posaunen-Verstärkung,
in allen Sätzen gehört. Im Unterschied zu diesem Instrument, das in der ro-
mantischen Ära oft „Wald“ oder „Jagd“ symbolisiert, hat die eher „militä-
rische“ Assoziation der Trompete vor allem erst im Finale – offenbar wieder
auch inhaltlich begründet – als entsprechendes instrumentales Kolorit eine
leitende Funktion.)
Wenn man das Hauptthema aber Hiawatha zuordnet und daraufhin
sein sinfonisches Schicksal verfolgt, so kann man sich kaum um die Frage
drücken, wie es um die beiden Seitenthemen bestellt ist – dem zuerst auf-
tauchenden, berceusehaften in phrygischem g-moll und dem anderen kan-
tablen, überaus lieblichen in G-Dur, das zuerst der ersten Flöte anvertraut
wird. Will man analog zum Hauptthema eine personale Bindung unterstel-
len, könnte man an Themen für seine beiden heldischen Mitkämpfer denken,
aber ihr eher gewaltloser Charakter lässt dies kaum als plausibel erscheinen.
Eher passt er – sogar im Sinne des sonatischen klischeehaften Gegensatzes
von männlicher und weiblicher Gestik, der Dvořák vertraut gewesen sein
dürfte – zu den beiden Frauen, die für Hiawatha wichtig wurden: der Groß-
mutter einerseits, deren herbere Moll-Motivik allerdings episodisch bleibt (in
der Reprise harmonisch „entrückt“) und keine „durchführende“ Rolle erhält;
und andererseits der geliebten Frau Minehaha, die er von einer seiner Frie-
densmissionen bei den Dakota nach Hause bringt und die ihm an seiner Seite
unentbehrlich wird. Ihre kantable, weiche G-Gur-Motivik (mit dem Haupt-
thema dergestalt verwandt, als sei sie nach biblischem Gleichnis eine Rippe
aus Adams Leib) durchdringt sich in der Durchführung so eng und inten-
siv mit der Motivik des Hauptthemas, so dass man eigentlich Hiawathas dra-
matisches Werben um die Frau und seine liebende Verbindung zu Minehaha
als die beherrschende Aventure in der durchführend auch kämpferischen
Porträt-Studie des Satzes ansehen kann. Und man versteht, warum im zwei-
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