Page 62 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama

als Kunstreligion noch eine derartige Verbindlichkeit besaß, dass Warners
Ausführungen mit Stillschweigen übergangen, einfach ignoriert worden
sind, weil sie nicht in das Weltbild der Moderne passten. Eine Gesellschaft
schafft sich ihr Weltbild auch aus einer gezielten Auswahl der rezipierten
Gedanken. Warner geht es bei seiner Kritik nicht um die Zerstörung, son-
dern um Reinigung und Vertiefung musischer Erziehungsarbeit, die stets
den „ganzen Menschen“ in den Blick nehme. Aufgrund der fortschreiten-
den, aus Humanismus und Rationalismus erwachsenen Säkularisierung
habe sich der Pädagoge „Ganzheitsziele humanistischer Art“ gesetzt, die
ihm in „gesamtmenschenführende[r] Funktion“ „priesterliche Hoffnun-
gen“ aufnötigten und ihn dazu verleiteten, „auch summarische Verdam-
mungsurteile“ abzugeben, „die jeder Orthodoxie Ehre machen würden.“23
Die erstrebte „musische Ganzheit“, die Warner mit Blick auf Wagner auch
als „Versuch eines laiengebundenen Gesamtkunstwerks“ umschreibt, be-
dürfe, da „die künstlerischen Mittel der säkularen Einheit trotzten,“ des
„Mythos als Bindemittel“ durch „Entgrenzung des Geistes“, eine „Selbst-
setzung mythischer Ansprüche“.24 Dies habe durch quasi kultische Hand-
lungen25 einen „Pseudokult und Eklektizismus“ gezeugt, da es außer der
christlichen Mythenüberlieferung „keine wirklich geglaubten Mythen
mehr“ gebe.26 Das „Wollen unter wahlloser Nutzung der Mittel; die Ablö-
sung vom Kontinuum der Kultur wie der Realität“ habe einem literarischen
Eklektizismus den Weg bereitet, der in romantischer Tradition bei Rainer
Maria Rilke und Stefan George „eine Setzung von Führertum und Geheim-
bund“ hervorgebracht habe, ohne „die dort gegebene schonungslose Freile-
gung des Nihilismus“ zu erkennen.27 So suche die musische Bewegung „fei-
erliche Ewigkeit“, indem sie „Lebensfülle“ abstoße und „Askese“ suche.28 In
dem dabei zu leistenden „harten Dienst“ der Gemeinschaft (Bündische Ju-
gend) sei sie „folgerichtig von der aktiven Askese der Männerbünde zu de-
ren passiver Form, der Abstinenz“ gelangt.29 „Aus dem positiven Ansatz der

23 Theodor Warner, Musische Erziehung zwischen Kunst und Kult (Berlin-Darmstadt:
Merseburger, 1954), S. 7.

24 Ebd., S. 22.
25 „Wer wie der Verfasser einst an bedeutender musischer Stätte mit anderen Gutwil-

ligen unter wiederholtem, einstimmigen Absingen von Beethovens ‚Freude, schöner
Götterfunken‘ feierlich-symbolisch einen Apfelbaum umkreiste, ist eine gebrannte
Katze, kann nicht umhin, kritischen Sinnes zu werden.“ Ebd., S. 35.
26 Ebd., S. 36.
27 Ebd., S. 37.
28 Ebd., S. 63f.
29 Ebd., S. 64f.

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