Page 148 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju
Die spezifischen Züge der Oper, nicht nur als allgemein verständliches
Kunstobjekt, sondern auch als Kern des kulturellen Lebens eines bestimm-
ten Landes in dieser oder jener historischen Periode, wurden ständig zum
Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und wurden in Hunderten von
Musikstudien behandelt. In jeder der Oper gewidmeten Forschung wird
mehr oder weniger die Aufmerksamkeit auf die sozialen Bedingungen ge-
lenkt und der gesellschaftliche Kontrapunkt zum ästhetischen Phänomen
ausgebaut. Als ein krasses Beispiel könnte man folgendes Zitat aus dem
Artikel „Das Opernpublikum im 19. Jahrhundert“ von Michael Walter
anführen:
Eine der dominanten Rahmenbedingungen [der Oper – L. K.] war
das Publikum. Ästhetische Präferenzen, Bildungsgrad, Erwar-
tungshorizont, aber auch ganz banale Erwartungen an die maxi-
male Länge einer Oper (etwa weil – beispielsweise in Paris – zu
einem bestimmten Zeitpunkt die letzte vom Opernhaus erreich-
bare Straßenbahn abfuhr oder – in Wien – die Portiere abends die
Häuser abschlossen und man gut daran tat, vor diesem Zeitpunkt
zurückgekehrt zu sein) konnten den Erfolg einer Oper erheblich
beeinflussen.5
Dieses Zitat dient als überzeugendes Zeugnis des absolut demokra-
tischen massenhaften Wesens der Oper in ihrer weiteren historischen Per-
spektive, etwa bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Oper mit ihrer kom-
plizierten Synthese der Kunstarten, dem kolossalen Einbildungsvermögen,
den verständnisvollen Reaktionen auf gesellschaftliche Erschütterungen
und Prioritätenwechsel in der Kunst spiegelte wie kein anderes Genre,
eine umfassende Konstruktion des soziohistorischen Kontextes ihrer Ent-
stehung wider. Ihr Einklang mit den Vorstellungen und Bedürfnissen der
nächsten Generationen dezidiert von der Anerkennung (oder Nichtaner-
kennung) und ihrem weiteren Dasein auf der Bühne.
Deshalb werden in chronologischer Reihenfolge eher manche sozi-
ale Formen der Oper platziert und nicht nur spezifisch künstlerische, äs-
thetische und stilistische Merkmale dieser Gattung berücksichtigt. Als Er-
gebnis erhält man ein bemerkenswertes Bild des „Chamäleons“ der Oper,
welches immer sehr genau an verschiedenen historischen Dimensionen,
an den jeweiligen Bedürfnissen und Anforderungen seiner „Kunden“ und
5 Michael Walter, „Das Opernpublikum im 19. Jahrhundert“, in Vol. 2 (2009), Ausga-
be 2: Recherchierte Authentizität, (Graz: Universitätsbibliothek Graz, 2015). Stand:
19.03.2018, http://lithes.uni-graz.at/lithes/beitraege09_02/heft_2_walter.pdf.
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Die spezifischen Züge der Oper, nicht nur als allgemein verständliches
Kunstobjekt, sondern auch als Kern des kulturellen Lebens eines bestimm-
ten Landes in dieser oder jener historischen Periode, wurden ständig zum
Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und wurden in Hunderten von
Musikstudien behandelt. In jeder der Oper gewidmeten Forschung wird
mehr oder weniger die Aufmerksamkeit auf die sozialen Bedingungen ge-
lenkt und der gesellschaftliche Kontrapunkt zum ästhetischen Phänomen
ausgebaut. Als ein krasses Beispiel könnte man folgendes Zitat aus dem
Artikel „Das Opernpublikum im 19. Jahrhundert“ von Michael Walter
anführen:
Eine der dominanten Rahmenbedingungen [der Oper – L. K.] war
das Publikum. Ästhetische Präferenzen, Bildungsgrad, Erwar-
tungshorizont, aber auch ganz banale Erwartungen an die maxi-
male Länge einer Oper (etwa weil – beispielsweise in Paris – zu
einem bestimmten Zeitpunkt die letzte vom Opernhaus erreich-
bare Straßenbahn abfuhr oder – in Wien – die Portiere abends die
Häuser abschlossen und man gut daran tat, vor diesem Zeitpunkt
zurückgekehrt zu sein) konnten den Erfolg einer Oper erheblich
beeinflussen.5
Dieses Zitat dient als überzeugendes Zeugnis des absolut demokra-
tischen massenhaften Wesens der Oper in ihrer weiteren historischen Per-
spektive, etwa bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Oper mit ihrer kom-
plizierten Synthese der Kunstarten, dem kolossalen Einbildungsvermögen,
den verständnisvollen Reaktionen auf gesellschaftliche Erschütterungen
und Prioritätenwechsel in der Kunst spiegelte wie kein anderes Genre,
eine umfassende Konstruktion des soziohistorischen Kontextes ihrer Ent-
stehung wider. Ihr Einklang mit den Vorstellungen und Bedürfnissen der
nächsten Generationen dezidiert von der Anerkennung (oder Nichtaner-
kennung) und ihrem weiteren Dasein auf der Bühne.
Deshalb werden in chronologischer Reihenfolge eher manche sozi-
ale Formen der Oper platziert und nicht nur spezifisch künstlerische, äs-
thetische und stilistische Merkmale dieser Gattung berücksichtigt. Als Er-
gebnis erhält man ein bemerkenswertes Bild des „Chamäleons“ der Oper,
welches immer sehr genau an verschiedenen historischen Dimensionen,
an den jeweiligen Bedürfnissen und Anforderungen seiner „Kunden“ und
5 Michael Walter, „Das Opernpublikum im 19. Jahrhundert“, in Vol. 2 (2009), Ausga-
be 2: Recherchierte Authentizität, (Graz: Universitätsbibliothek Graz, 2015). Stand:
19.03.2018, http://lithes.uni-graz.at/lithes/beitraege09_02/heft_2_walter.pdf.
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