Page 49 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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neue musik auf österreichischen bühnen ...

Man sucht als Besucher zunächst freilich den zwingenden Grund,
warum aus dem Film eine Oper werden musste. Und findet am
Ende vielleicht sogar gleich mehrere gute Gründe: Weil gerade das
bürgerliche Genre Oper sich besonders dazu eignet, eine Geschich-
te über die Grenzen und den möglichen Verfall der Bourgeoisie zu
erzählen; weil die finale Rettung, die keine wirkliche ist, vermittels
einer Opernarie herbeigeführt wird; oder auch nur, weil Adès ein
wahrer Könner ist.

Zugegeben: Seine Tonsprache ist nicht sonderlich innovativ, nicht
einmal überaus originär – aber gut verständlich. Er versteht es
meisterhaft, verschiedene Stile zu vermischen, zwischen spanischer
Volksmusik und Walzer zu changieren, Effekte zu setzen, berüh-
rende Momente mit Soloinstrumenten (Klavier, Gitarre) zu schaf-
fen und die Spannung Suspense-artig zu steigern.

Die Instrumentierung ist höchst raffiniert, der Einsatz der vielen
Glocken gerade in Salzburg passend, die orchestralen Zwischen-
spiele sind exzellent, farbenprächtig und treiben das Crescendo der
Story voran. Als Dirigent des intensiven und präzisen RSO Wien ist
der Komponist überdies ein kraftvoller Gestalter.“89

Stollberg bringt am Beispiel von Helmut Lachenmanns Das Mädchen
mit den Schwefelhölzern, das wegen seiner Sperrigkeit dem Theaterbetrieb
gegenüber von der Neuen Zeitschrift für Musik 1997 als „erste Oper des 21.
Jahrhunderts“ begrüßt worden ist, die Gegensätze zwischen einer in der
Tradition der Kunstreligion und Autonomie verhafteten Avantgarde und
der englischen Pragmatik auf den Punkt, zu welcher neben Kompositionen
von Adès auch die Werke Hans Werner Henzes zu rechnen sind. Die avant-
gardistische Kritik an der Institution hat allerdings deren Bestehen zur Vo-
raussetzung, was auch auf die Differenz zwischen anglo-amerikanischer
und kontinentaler Tradition erklärt. Die englische Oper folgt der italie-
nischen Tradition des „kommerziellen Musiktheaters“, indem sie „sowohl
die Notwendigkeit, sich einem breiten Publikum verständlich zu machen,
als auch die ökonomischen Bedingtheiten des Theaterbetriebs“ berück-
sichtigt.90 Scheint sie damit von der Avantgarde deutscher Prägung auch
weit entfernt, ist die Gesellschaftskritik ein gemeinsames Merkmal, sodass

89 Gert Korentschnig, „Ein Dinner wird zur Hölle“, Kurier, 29. 07. 2016. online verfüg-
bar unter https://kurier.at/kultur/the-exterminating-angel-bei-den-salzburger-fest-
spielen-ein-dinner-wird-zur-hoelle/212.580.094, abgefragt am 11.04.2018.

90 Stollberg, „Englisches Musiktheater von Benjamin Britten bis Thomas Adès“, 511.

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