Page 44 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju
Wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten, ist das Thema, das
Einem als das für ihn zentrale nennt.
Erwin Ringel, der Einems Interpretation des Opernschlusses wider-
sprach, betont, dass „Menschlichkeit über die rührselige Bewunderung
der Natur und die Beschirmung des eigenen Clans“ hinausgehen müsse,
„denn das wahre Maß der Humanität bleiben immer die Fremden, die An-
dersartigen, die Schwachen“.75 Ringel mahnte denn auch eine persönliche
Stellungnahme ein, zu der die Oper herausfordere. Aus dieser Perspekti-
ve kann die aktuelle Programmierung auch als Versuch aufgefasst werden,
in – nach der Waldheim-Affäre veränderter gesellschaftspolitischer Sicht –
dieses Kapitel der Geschichte neu zur Reflexion zu bringen. Der Abdruck
des Textes von Ringel im Programmheft deutet zumindest darauf hin. Er-
hard Busek hat in diesem Sinne die Bedeutung der Oper aus aktuellem po-
litischen Blickwinkel kommentiert:
Die Aufführung dieser markanten und vielleicht stärksten Oper
Gottfried von Einems stellt eine wichtige kulturpolitische Erinne-
rung dar. […] jedenfalls ist sie ein bleibender Beitrag, einiges an
historischen Belastungen in der Geschichte Österreichs und Eu-
ropas auszuräumen. Mit Recht wird immer daran erinnert, dass
die Gründungsaussagen zur Schaffung der Salzburger Festspiele
mit der Katastrophe des Ersten Weltkrieges und dem Ende des al-
ten Europas zu tun haben. Gottfried von Einem signalisierte ei-
nen Neubeginn, nicht zuletzt mit Dantons Tod. Mit der Perspekti-
ve der Französischen Revolution auf der Bühne in Salzburg wurde
eine Auseinandersetzung mit den Irrwegen der Politik, der Gewalt
und der Veränderung durchgeführt. Vielleicht war es auch der Ge-
danke, dass den totalitären Zeiten nach dem Ersten Weltkriege eine
bloß primitive Auseinandersetzung mit der Macht zu eigen war.
Die verändernde Kraft der Französischen Revolution hat weder im
Kommunismus und schon gar nicht im Faschismus eine Reflexi-
on gefunden. Wenn Drama und Oper beginnen, ist Danton bereits
am Ende. Er hat aufgegeben. Aber Georg Büchner und Gottfried
von Einem haben diese Resignation auf die Bühne gestellt, also ein
75 Erwin Ringel, „Wie beendet man eine Revolution?“, in: Andreas Láng und Oliver
Láng, ed., Gottfried von Einem. Dantons Tod (Wiener Staatsoper: Spielzeit 2017/18),
57.
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Wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten, ist das Thema, das
Einem als das für ihn zentrale nennt.
Erwin Ringel, der Einems Interpretation des Opernschlusses wider-
sprach, betont, dass „Menschlichkeit über die rührselige Bewunderung
der Natur und die Beschirmung des eigenen Clans“ hinausgehen müsse,
„denn das wahre Maß der Humanität bleiben immer die Fremden, die An-
dersartigen, die Schwachen“.75 Ringel mahnte denn auch eine persönliche
Stellungnahme ein, zu der die Oper herausfordere. Aus dieser Perspekti-
ve kann die aktuelle Programmierung auch als Versuch aufgefasst werden,
in – nach der Waldheim-Affäre veränderter gesellschaftspolitischer Sicht –
dieses Kapitel der Geschichte neu zur Reflexion zu bringen. Der Abdruck
des Textes von Ringel im Programmheft deutet zumindest darauf hin. Er-
hard Busek hat in diesem Sinne die Bedeutung der Oper aus aktuellem po-
litischen Blickwinkel kommentiert:
Die Aufführung dieser markanten und vielleicht stärksten Oper
Gottfried von Einems stellt eine wichtige kulturpolitische Erinne-
rung dar. […] jedenfalls ist sie ein bleibender Beitrag, einiges an
historischen Belastungen in der Geschichte Österreichs und Eu-
ropas auszuräumen. Mit Recht wird immer daran erinnert, dass
die Gründungsaussagen zur Schaffung der Salzburger Festspiele
mit der Katastrophe des Ersten Weltkrieges und dem Ende des al-
ten Europas zu tun haben. Gottfried von Einem signalisierte ei-
nen Neubeginn, nicht zuletzt mit Dantons Tod. Mit der Perspekti-
ve der Französischen Revolution auf der Bühne in Salzburg wurde
eine Auseinandersetzung mit den Irrwegen der Politik, der Gewalt
und der Veränderung durchgeführt. Vielleicht war es auch der Ge-
danke, dass den totalitären Zeiten nach dem Ersten Weltkriege eine
bloß primitive Auseinandersetzung mit der Macht zu eigen war.
Die verändernde Kraft der Französischen Revolution hat weder im
Kommunismus und schon gar nicht im Faschismus eine Reflexi-
on gefunden. Wenn Drama und Oper beginnen, ist Danton bereits
am Ende. Er hat aufgegeben. Aber Georg Büchner und Gottfried
von Einem haben diese Resignation auf die Bühne gestellt, also ein
75 Erwin Ringel, „Wie beendet man eine Revolution?“, in: Andreas Láng und Oliver
Láng, ed., Gottfried von Einem. Dantons Tod (Wiener Staatsoper: Spielzeit 2017/18),
57.
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