Page 47 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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neue musik auf österreichischen bühnen ...
Sehräume zu entwerfen, Marginalisiertes ins Zentrum zu stellen und ge-
sellschaftliche Lügen zu entlarven gelten. Dadurch werden die Kompositi-
onen zugleich zum Anstoß und zur Attraktion, bewegen sich oft auf einer
schmalen Linie zwischen beiden, die zugleich Erfolg und Misserfolg trennt,
letzterer häufig in Form einer Absage vor der geplanten Realisierung. Neu-
wirth ist zudem die Auseinandersetzung mit aktuellem Unrecht, nicht
geahndeten Verbrechen und der NS-Zeit ein Anliegen. Der kleinbürger-
liche Alltag und die Konsumgesellschaft bilden den Rahmen. Eine wichtige
Intention ist auch der „Entwurf diverser Gegenwirklichkeiten zu massen-
medial aufgezwungenen Realitäten“. Hochradl betont, dass „trotz ihrer ge-
ballten Gesellschaftskritik“ […] „Neuwirth im Zirkel des aktuellen „E-Mu-
sik-Betriebes““ funktioniert.83 Hierzu ist zu fragen, ob es nicht gerade die
Aktualität und die Anstößigkeit, sind, die zum Erfolg beitragen. „Dialo-
gizität mit dem Publikum“ (Hochradl, „Olga Neuwirth/Elfriede Jelinek“,
421) ist gefragt, Intertextualität trägt zur Vieldeutigkeit bei, aber auch zum
Durchbrechen der gängigen Gattungsmuster und dazu, „disparate Hörer-
wartungen“ zu befriedigen84 – durchaus im Sinne einer „trendigen“, iro-
nisch-scharfzüngigen Postmoderne, die sich Resignation versagt.
Neuwirths Werke sind in einigen Zügen mit den erfolgreichen Stü-
cken des 20. Jahrhunderts, wie sie die Musikforschung beurteilt, vergleich-
bar. Im Besonderen American Lulu knüpft an die Tradition – Alban Bergs
Lulu – an, wobei diese in radikaler Weise erneuert und dabei auch die Gat-
tungsnormen überschritten werden. Das Stück ist aktuell in seiner, unserer
Gegenwart, und doch innerhalb der großen Tradition rezipierbar. Im Sinne
einer aktuellen Programmdramaturgie findet eine kritische Auseinander-
setzung mit dem Kanon statt. Kompaktheit, Aktualität und Provokation
gehen eine für Neuwirth charakteristische Mischung ein. Das Stück ent-
hält neben autobiographischen Bezügen auch Bezüge zu den Aufführungs-
orten Berlin und Wien und deren Geschichte, die dabei kritisch reflektiert
wird, worauf Neuwirth im Programmheft hinweist.85
Thomas Adès
Sind auch zumeist nationale Perspektiven bei Auftragsvergabe und Urauf-
führungen vorherrschend, wie etwa in Paris gespielte Komponisten wie
83 Hochradl, „Olga Neuwirth/Elfriede Jelinek“, 419.
84 Ibid., 426.
85 Vgl. Olga Neuwirth, »Notizen zu American Lulu«, in Olga Neuwirth. American Lulu
(Programmheft) (Wien: Theater an der Wien, 2014), 8-13.
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Sehräume zu entwerfen, Marginalisiertes ins Zentrum zu stellen und ge-
sellschaftliche Lügen zu entlarven gelten. Dadurch werden die Kompositi-
onen zugleich zum Anstoß und zur Attraktion, bewegen sich oft auf einer
schmalen Linie zwischen beiden, die zugleich Erfolg und Misserfolg trennt,
letzterer häufig in Form einer Absage vor der geplanten Realisierung. Neu-
wirth ist zudem die Auseinandersetzung mit aktuellem Unrecht, nicht
geahndeten Verbrechen und der NS-Zeit ein Anliegen. Der kleinbürger-
liche Alltag und die Konsumgesellschaft bilden den Rahmen. Eine wichtige
Intention ist auch der „Entwurf diverser Gegenwirklichkeiten zu massen-
medial aufgezwungenen Realitäten“. Hochradl betont, dass „trotz ihrer ge-
ballten Gesellschaftskritik“ […] „Neuwirth im Zirkel des aktuellen „E-Mu-
sik-Betriebes““ funktioniert.83 Hierzu ist zu fragen, ob es nicht gerade die
Aktualität und die Anstößigkeit, sind, die zum Erfolg beitragen. „Dialo-
gizität mit dem Publikum“ (Hochradl, „Olga Neuwirth/Elfriede Jelinek“,
421) ist gefragt, Intertextualität trägt zur Vieldeutigkeit bei, aber auch zum
Durchbrechen der gängigen Gattungsmuster und dazu, „disparate Hörer-
wartungen“ zu befriedigen84 – durchaus im Sinne einer „trendigen“, iro-
nisch-scharfzüngigen Postmoderne, die sich Resignation versagt.
Neuwirths Werke sind in einigen Zügen mit den erfolgreichen Stü-
cken des 20. Jahrhunderts, wie sie die Musikforschung beurteilt, vergleich-
bar. Im Besonderen American Lulu knüpft an die Tradition – Alban Bergs
Lulu – an, wobei diese in radikaler Weise erneuert und dabei auch die Gat-
tungsnormen überschritten werden. Das Stück ist aktuell in seiner, unserer
Gegenwart, und doch innerhalb der großen Tradition rezipierbar. Im Sinne
einer aktuellen Programmdramaturgie findet eine kritische Auseinander-
setzung mit dem Kanon statt. Kompaktheit, Aktualität und Provokation
gehen eine für Neuwirth charakteristische Mischung ein. Das Stück ent-
hält neben autobiographischen Bezügen auch Bezüge zu den Aufführungs-
orten Berlin und Wien und deren Geschichte, die dabei kritisch reflektiert
wird, worauf Neuwirth im Programmheft hinweist.85
Thomas Adès
Sind auch zumeist nationale Perspektiven bei Auftragsvergabe und Urauf-
führungen vorherrschend, wie etwa in Paris gespielte Komponisten wie
83 Hochradl, „Olga Neuwirth/Elfriede Jelinek“, 419.
84 Ibid., 426.
85 Vgl. Olga Neuwirth, »Notizen zu American Lulu«, in Olga Neuwirth. American Lulu
(Programmheft) (Wien: Theater an der Wien, 2014), 8-13.
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