Page 159 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2021. Opereta med obema svetovnima vojnama ▪︎ Operetta between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 5
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die ukrainische operette der 1920er und 1930er jahre ...
konnte trotz aller Diplomatie nicht als würdiger Kandidat für die Urheber-
schaft einer revolutionären Operette akzeptiert werden. Die Vorwürfe vom
„ukrainischen Musikgeist“ weisen klar darauf hin.
Der Generaldirektor des Moskauer Operettentheaters, Grigorij Jaron,
der als Leiter und Beamter der ideologischen Abteilung der Kommunis-
tischen Partei der gesamten Union befugt war, diese heikle Angelegenheit
zu regeln, musste den Befehlen der Parteiführung gehorchen.
Der Autor, der vonseiten der Parteiführung beauftragt wurde, Rjabows
Operette auf wahrhaft russische Weise zu überarbeiten, war Boris Alexan-
drow. Er gehörte zum vertrauten Künstlerkreis Stalins. Sein Vater war Alex
ander Alexandrow, Komponist der Hymne der UdSSR und zweifacher Ge-
winner des Stalin-Preises. Damals leitete er das Moskauer Liedensemble der
Roten Armee und war stellvertretender Dekan der Militärfakultät des Mos-
kauer Konservatoriums. Sein Sohn trat treu in seine Fußstapfen.21 So eine
Person war ein würdiger Kandidat für eine solche Rolle.
Stanischewski stellte zu Recht die Frage: „War die Moskauer Version
besser als die ukrainische?“ Seine maßgebliche Antwort lautet:
Auf keinen Fall. Der Musik Alexandrows, der sich bei Ryabow ei
niger Melodien bedient hatte (es ist zumindest das Chorlied der
Soldaten „Auf der Wiese, auf der Wiese“ zu erwähnen), mangelte
es eindeutig an melodischem Reichtum und ukrainischem Kolorit.
Überdies fehlte es dem „bearbeiteten“ Stück an volkstypischem Hu
mor sowie den unverkennbaren Besonderheiten der Haupthelden.22
Diese Geschichte zeugt eindeutig von der harten kommunistischen
Kontrolle über eine heitere, doch zugleich auch trostlose Gattung wie die
Operette.
In den westlichen, damals zu Polen und Rumänien gehörenden Ge-
bieten, wo zahlreiche Ukrainer lebten, die nicht durch die totalitären Vor-
schriften des bolschewistischen Regimes belastet waren, breiteten sich
verschiedene neue Unterhaltungsgattungen aus, darunter die Revue, das
Kabarett und das experimentelle Theater.
21 Boris Alexandrow (1905–1994) – von 1930 bis 1937 Dirigent und Leiter der Musikab-
teilung des Zentraltheaters der Roten Armee. Von 1933 bis 1941 Dozent am Moskau-
er Konservatorium für Partitur und Instrumentierung (ab 1939 Professor). In den
Jahren 1929–1930 Dirigent, ab 1937 (zeitweise) Dirigent und stellvertretender künst-
lerischer Leiter, von 1946 (nach dem Tod seines Vaters) bis zu seinem Lebensende
Leiter des Alexander-Alexandrow-Lied- und Tanzensembles der Sowjetarmee.
22 Stanischewski, „Ein merkwürdiger Fall auf der ‚Hochzeit in Malinowka‘“.
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konnte trotz aller Diplomatie nicht als würdiger Kandidat für die Urheber-
schaft einer revolutionären Operette akzeptiert werden. Die Vorwürfe vom
„ukrainischen Musikgeist“ weisen klar darauf hin.
Der Generaldirektor des Moskauer Operettentheaters, Grigorij Jaron,
der als Leiter und Beamter der ideologischen Abteilung der Kommunis-
tischen Partei der gesamten Union befugt war, diese heikle Angelegenheit
zu regeln, musste den Befehlen der Parteiführung gehorchen.
Der Autor, der vonseiten der Parteiführung beauftragt wurde, Rjabows
Operette auf wahrhaft russische Weise zu überarbeiten, war Boris Alexan-
drow. Er gehörte zum vertrauten Künstlerkreis Stalins. Sein Vater war Alex
ander Alexandrow, Komponist der Hymne der UdSSR und zweifacher Ge-
winner des Stalin-Preises. Damals leitete er das Moskauer Liedensemble der
Roten Armee und war stellvertretender Dekan der Militärfakultät des Mos-
kauer Konservatoriums. Sein Sohn trat treu in seine Fußstapfen.21 So eine
Person war ein würdiger Kandidat für eine solche Rolle.
Stanischewski stellte zu Recht die Frage: „War die Moskauer Version
besser als die ukrainische?“ Seine maßgebliche Antwort lautet:
Auf keinen Fall. Der Musik Alexandrows, der sich bei Ryabow ei
niger Melodien bedient hatte (es ist zumindest das Chorlied der
Soldaten „Auf der Wiese, auf der Wiese“ zu erwähnen), mangelte
es eindeutig an melodischem Reichtum und ukrainischem Kolorit.
Überdies fehlte es dem „bearbeiteten“ Stück an volkstypischem Hu
mor sowie den unverkennbaren Besonderheiten der Haupthelden.22
Diese Geschichte zeugt eindeutig von der harten kommunistischen
Kontrolle über eine heitere, doch zugleich auch trostlose Gattung wie die
Operette.
In den westlichen, damals zu Polen und Rumänien gehörenden Ge-
bieten, wo zahlreiche Ukrainer lebten, die nicht durch die totalitären Vor-
schriften des bolschewistischen Regimes belastet waren, breiteten sich
verschiedene neue Unterhaltungsgattungen aus, darunter die Revue, das
Kabarett und das experimentelle Theater.
21 Boris Alexandrow (1905–1994) – von 1930 bis 1937 Dirigent und Leiter der Musikab-
teilung des Zentraltheaters der Roten Armee. Von 1933 bis 1941 Dozent am Moskau-
er Konservatorium für Partitur und Instrumentierung (ab 1939 Professor). In den
Jahren 1929–1930 Dirigent, ab 1937 (zeitweise) Dirigent und stellvertretender künst-
lerischer Leiter, von 1946 (nach dem Tod seines Vaters) bis zu seinem Lebensende
Leiter des Alexander-Alexandrow-Lied- und Tanzensembles der Sowjetarmee.
22 Stanischewski, „Ein merkwürdiger Fall auf der ‚Hochzeit in Malinowka‘“.
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