Page 257 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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analyse des rhythmus als mittel der interpretation ...
„einzuatmen“, und sich für den neuen Bogen und die schnelle Tonrepetiti-
on vorzubereiten. 37
Eine weitere Möglichkeit der Notation des punktierten Rhythmus ist
mit einer Pause statt mit dem Punkt, was bei Chopin besonders oft in tanz-
artigen Sätzen zu finden ist. Das dadurch angedeutete Aufheben der Hand
(ungeachtet des rechten Pedals) vermittelt eine gewisse Leichtigkeit ge-
genüber einer mit Fingern gebundenen punktierten Figur, was Rothstein
andeutet, wenn er solche Figuren als lebhaftere Versionen der punktier-
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ten Noten bezeichnet. Aus dem großen Fundus der Beispiele für diese Er-
scheinung kann der Anfang der Mazurka op. 7 Nr. 1 (Notenbeispiel 12) ge-
nannt werden. Die oben genannten Aufführungshinweise (die generelle
Leichtigkeit in der Aufführung und das Aufheben der Hand trotz des Pe-
dals) sind hier anwendbar und tragen zum tänzerischen Schwung des Stü-
ckes bei.
Notenbeispiel 12: Mazurka in B-Dur, op. 7 Nr. 1, T. 1–4.
Das letzte Beispiel zeigt, dass Pausen genauso wichtig zu untersu-
chen sind wie die Töne. Sie beeinflussen die Musik mit ihren verschiede-
nen Funktionen. Einige dieser Funktionen werden von Finscher in seinem
MGG-Artikel genannt: Sie können aus physiologischen Gründen auftre-
ten (zum Atemholen, am Klavier sinnbildlich zu verstehen), oder als Ar-
tikulation von Anfängen und Schlüssen von Formteilen, als Spiel mit der
Hörerwartung, zum Aufbau der Spannungen oder als rhetorisches Mittel
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dienen. Stein schreibt, dass sie eine spannende oder lösende Funktion ha-
ben können und dementsprechend verkürzt bzw. verlängert werden soll-
37 Siehe auch op. 27 Nr. 1, T. 29f. und 37f.: Die doppelte Punktierung ab T. 37 stellt ein
Spannungssteigerungsmerkmal dar.
38 William Rothstein, „Phrase rhythm in Chopin‘s nocturnes and mazurkas“, in Cho-
pin Studies, Hrsg. John Rink und Jim Samson (Cambridge, New York, NY, Port Mel-
bourne, Madrid: Cambridge University Press, 1991), 123–4.
39 Ludwig Finscher, „Pause,“ MGG Online, https://www.mgg-online.com/mgg/sta-
ble/14850.
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