Page 252 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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of signaling impending closure” dar. Dies weist unter anderem auf die Not-
wendigkeit hin, diese rhythmischen Ereignisse in einem breiteren werk-
analytischen Kontext zu deuten.
Die abweichende Teilung des Schlags verändert die Proportionen der
Notenlängen, wodurch der Eindruck einer freien temporalen Gestaltung
der Stelle entsteht. Sie kann interpretatorisch etwa durch eine besondere
Artikulation (wie tenuto oder non legato) oder durch Verlangsamung bzw.
Bremsen hervorgehoben und ihre expressive Wirkung gesteigert werden.
Nahezu stereotypisch wird in Aufführungen die Verlängerung des ersten
Tons einer Triolengruppe mit der entsprechenden Beschleunigung der an-
deren beiden eingesetzt.
Erscheint mit der abweichenden Teilung in einer anderen Stimme die
regelmäßige Teilung gleichzeitig, so entstehen polyrhythmische Gestal-
ten. Das asynchrone Auftreten der einzelnen Töne erzeugt eine größere
Ereignisdichte, die wiederum den Reiz bzw. die Spannung der Stelle stei-
gert. Dieser Reiz wird in der Literatur unterschiedlich beschrieben, zum
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Beispiel als „unease“ bei Swinkin oder „urgency“ bei Schaffers Bespre-
chung des Prélude Nr. 8. Ekier erklärt, dass durchgängige Polyrhythmik als
Merkmal selten ist und meistens zu didaktischen Zwecken eingesetzt wird
(wie im Fantasie-Impromptu oder in nicht veröffentlichten Etüden), wäh-
rend gelegentliche polyrhythmische Stellen häufiger auftauchen, und zwar
oft bei Stellen mit erhöhter Ausdruckskraft. Ein allgemeiner Hinweis ist
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bei gleichzeitigem Erscheinen von Triolen und punktierter Achtel mit ei-
ner Sechzehntel angebracht: Diese sollten laut Ekier der barocken Praxis
und der autographen Notationsweise von Chopin folgend synchron gespielt
werden. 31
Nach diesen einleitenden Überlegungen und Hinweisen zu den abwei-
chenden Schlagteilungen werden nun einige Beispiele näher untersucht, be-
ginnend mit Triolen. Im gesamten vierten Prélude sind sie nur zweimal zu
sehen, in T. 12 und 18 (Notenbeispiel 8), und beide Stellen unterstreichen
27 Ibid., 290.
28 Jeffrey Swinkin, Performative analysis: Reimagining music theory for performance,
Eastman studies in music 132 (Rochester, NY: University of Rochester Press, 2016),
92.
29 L. H. Schaffer, „Performing the F# minor Prelude Op. 28 No. 8“, in Chopin Studies,
Hrsg. John Rink und Jim Samson (Cambridge, New York, NY, Port Melbourne, Ma-
drid: Cambridge University Press, 1994), 191.
30 Ekier, Introduction to the Polish National Edition, 108–13.
31 Ibid., 78.
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