Page 260 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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            gen Tondauern.  Bei einer solchen Handhebung muss die Pause anhand
            der Geschwindigkeit aus spieltechnischen Gründen verlängert werden, und
            laut Ekier sollte die Gruppe danach komprimiert werden, um die verlorene
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            Zeit nachzuholen.  Ekier geht ausführlich auf verschiedene Arten von Pau-
            sen ein und untermauert seine Interpretationsempfehlungen durch ausge-
            wählte Beispiele – die Lektüre von Ekiers Introduction sei daher an dieser
            Stelle empfohlen.












            Notenbeispiel 15: Nocturne in Des-Dur, op. 27 Nr. 2, T. 16f.

                 Abschließend wird ein Beispiel mit zahlreichen Pausen näher unter-
            sucht: T. 16f. des Nocturne op. 27 Nr. 2 (Notenbeispiel 15). Hier handelt es
            sich um eine spannungssteigernde Wiederaufnahme der T. 10f. Offensicht-
            lich ist, dass diese Steigerung durch eine rhythmische Verdichtung erreicht
            wird: Die ätzende Polyrhythmik (5:6) am Anfang des T. 16 oder die akzen-
            tuierte Überbindung der Terz es‘‘-ges‘‘ mit der sich ändernden Harmonik
            können genannt und so wie in diesem Aufsatz besprochen interpretatorisch
            verwertet werden. Hinzu kommen aber noch die Pausen, die eine latente
            Punktierung erzeugen. Neben der oben besprochenen tänzerischen Gestik
            sind sie hier auch im Sinne einer erhöhten Atemfrequenz und Aufregung zu
            verstehen. Die Linie wird durch sie in viele kleine Gruppen „zerschnitten“,
            und so wird der Eindruck der Atemlosigkeit erschaffen. Dieser lässt sich
            interpretatorisch dadurch steigern, dass bei jeder Pause durch ein kleines
            Handheben eine deutliche Trennung zustande kommt (was möglicherweise
            genau die Absicht hinter dem staccato vor fast jeder Pause darstellt), und
            dass beim erneuten Einsatz durch das Wiedereintauchen der Hand auf die
            Ebene  der  Tastatur  ein  automatischer  (leichter)  Anfangsakzent  erzeugt
            wird. Dieser Vorgang verlängert außerdem zwangsläufig die sehr kurz no-
            tierte Dauer der Pause, sodass diese Momente des „Atemholens“ auch zu ei-
            ner freien temporalen Gestaltung der Phrase und zur gesteigerten Expres-
            sivität führen.
            49   Ekier,  Introduction to the Polish National Edition, 69–70.
            50   Ibid., 70.


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