Page 253 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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analyse des rhythmus als mittel der interpretation ...











            Notenbeispiel 8a: Prélude in e-Moll, op. 28 Nr. 4, T. 12.











            Notenbeispiel 8b: Prélude in e-Moll, op. 28 Nr. 4, T. 18.

            wichtige Momente im Stück. Beim einstimmigen Übergang zwischen dem
            Vordersatz und dem Nachsatz (T. 12), der ohnehin durch starke Erwartungs-
            spannung geprägt ist, trifft die erste Achteltriole mit dem ausdrucksreichen
            Sprung in die 7. Stufe des natürlichen Molls zusammen. Eine agogisch freie
            bzw. gedehnte Ausführung des Taktes und insbesondere dieses Sprungs und
            der Triolen ist nicht zuletzt durch das Aufhören der rhythmisch gleichmäßi-
            gen Begleitung in der linken Hand nahegelegt. Ebenso wichtig sind die Tri-
            olen in T. 18 über dem sixte ajoutée-Akkord, die den bewegten Kulminati-
            onsabschnitt zu Ende bringen und zum beruhigenden Schluss des Stückes
            überleiten, was mit einer bremsenden Wirkung einhergeht. Der Sprung zum
            Basston A auf dem zweiten Schlag, der den Eintritt der Triolen begleitet, un-
            terstreicht die Besonderheit der Stelle noch weiter und legt nicht zuletzt aus
            spieltechnischen Gründen (anhand des längeren Wegs der linken Hand) ein
            vorbereitendes rubato vor diesem Schlag nahe. Ferner lässt sich der Reiz der
            Polyrhythmik durch das bewusste Platzieren des Akkordes in der linken
            Hand zwischen den zwei Triolen und seine leicht dynamisch markierte Aus-
            führung verwerten. Schließlich kann die Interpretin oder der Interpret an
            den beiden Stellen durch eine tenuto-Artikulation bzw. das Spiel mit klei-
            nen Impulsen aus dem Handgelenk auf jedem Ton die Triolen artikulierter
            gestalten, was sie gekoppelt mit der bereits besprochenen freieren tempora-
            len Gestaltung „deklamierend“ oder „ausgesprochen“ wirken lässt. Bei ei-
            ner weniger gebundenen Artikulation unterstreicht man außerdem die stark
            nicht-lineare Bewegung der Melodie in T. 18.


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