Page 57 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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die aufführungslehre der wiener schule als historische aufführungspraxis
            „gekillt“; Karl Böhm hat Maria Cebotari in der (deutschsprachig gesunge-
            nen) Oper Figaros Hochzeit sogar einen heute fast allen selbstverständli-
                                                                        14
            chen Vorschlag im Rezitativ vor der „Rosenarie“ verbieten wollen.  Mahler
            ließ für die Begleitung der Mozartschen Rezitative sogar ein „Mozart-Spi-
            nett“ ankaufen, dessen Klangwelt er mit offenbar genauem Wissen um die
            freie Gestaltung des Basso Continuo selbst mit reichem Leben erfüllte. 15
                 Mahler wählte im Sinne einer tatsächlich bestmöglichen „historisch
            orientierten Aufführungspraxis“ bei seinen Beethoven-Interpretationen die
            Besetzungsverhältnisse auch so, daß die dem Komponisten vorgeschweb-
            ten klanglichen Proportionen in weitgehend identischer Form hergestellt
            wurden.  Und tatsächlich entsprechen die von ihm bestimmten Proporti-
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            onen zwischen Streichern und Bläsern recht genau den seinerzeit von Jo-
            hann Joachim Quantz beschriebenen „idealen“ Proportionen zwischen
            diesen beiden Instrumentengruppen – ganz im Gegenteil zu den bis heute
            üblichen, von Pultvirtuosen geleiteten Philharmonischen oder Symphoni-
            schen Konzerten, bei denen 30 oder mehr Streichern je zwei arme Holzblä-
            ser entgegentreten. Johann Joachim Quantz wollte bereits „zu 12 Violinen“
            je vier Oboen und Flöten aufbieten.  Mahler setzte in Wien bei einer Rea-
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            lisierung von Beethovens 9. Symphonie am 18. Februar 1900 den spielenden
            34 Violinen immerhin vierfache Holzbläser (mit 2 Piccoloflöten) acht Hör-
            ner und vier Trompeten entgegen, war also weit „richtiger“ unterwegs als
            etwa Böhm oder Karajan, denen je zwei Bläser genügten. 18

                 und Aufführungspraxis, Hrsg. Hartmut Krones, Band 4) (Wien–Köln–Weimar: Böh-
                 lau, 2007), 261–95; Hartmut Krones, „Rezitative für Mozarts Die Hochzeit des Figa-
                 ro“, in Gustav Mahler. Interpretationen seiner Werke, Hrsg. Peter Revers und Oliver
                 Korte, Band 2 (Laaber: Laaber, 2011), 421–7.
            14   Stephan Mösch, „Zur Einführung“, in »Weil jede Note zählt«. Mozart interpretieren.
                 Gespräche und Essays, Hrsg. Stephan Mösch (Kassel, Berlin: Bärenreiter, Metzler,
                 2020), 1–15, hier 12.
            15   Siehe u. a.: Eike Feß, „Mahler als Bearbeiter“, in Mahler. Handbuch, Hrsg. Bernd
                 Sponheuer und Wolfram Steinbeck (Kassel, Stuttgart: Bärenreiter, Metzler, 2010),
                 390–405, hier 403.
            16   Hartmut Krones, „Mahlers Bearbeitungen im Licht der Historischen Aufführungs-
                 praxis“, in Musikinstrumente und Musizierpraxis zur Zeit Gustav Mahlers 2 (= Wie-
                 ner Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis, Hrsg. Hartmut Krones, Band 9),
                 Hrsg. Hartmut Krones und Reinhold Kubik (Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2021),
                 99–122.
            17   Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen […]
                 (Berlin: Johann Friedrich Voß, 1752), 185 f.
            18   Krones, „Mahlers Bearbeitungen“, 113. Vgl. auch: David Pickett, „»Ich muß aus dem
                 Gefühl der Selbsterhaltung heraus und der Achtung von mir selbst Konzerte dirigieren«.
                 Über Mahlers schöpferische Aktivitäten im Konzertsaal: Repertoire und Quellen“,


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