Page 61 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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die aufführungslehre der wiener schule als historische aufführungspraxis
            wird, ohnehin schon ein falsches Instrument und eine falsche Temperatur
            („Stimmung“) erleiden muß, niemals zwei Töne, die vom Satz her nicht zu-
            sammenzuklingen haben, durch Pedalisierung verschwistert werden. Bach
            auf einem modernen Klavier ist das gleiche, wie wenn etwa Liszt auf einem
            Cembalo mit Werckmeister-Temperatur erklänge. Sie meinen, das gibt es
            nicht: Ja, das gibt es – ich habe es extra aufnehmen lassen, um zu zeigen,
            welche Gewalt wir Bach antun, wenn wir ihn auf dem Klavier exekutieren
            (wörtlich gemeint). 29
                 Schönbergs Überlegungen zur Verständlichmachung bzw. Durchset-
            zung seines Willens, wie seine Werke zu spielen wären, gingen so weit, daß
            er Haupt- und Nebenstimmen markierte, eine „Vereinfachte Studier- und
                            30
            Dirigier-Partitur“  entwickelte, aber einigen Werken auch Metronomisie-
            rungen beigab, allerdings mit dem Beisatz „ca.“, weil die Saalgröße oder
            auch die Orchesterbesetzung leichte Modifikationen nötig machen könn-
            ten. Gegen eine allzu große Eigenmächtigkeit Serge Koussevitzkys bei des-
            sen „unzulänglicher“ Aufführung seiner Variationen für Blasorchester, op.
            43, wandte er sich allerdings deutlich:
                 Einige der Unzulänglichkeiten dieser Aufführung kommen direkt von
                 seiner Nichtbeachtung meiner metronomischen Angaben. Warum er
                 das tat, ist mir unbegreiflich. So weit wenigstens hätte er nicht fehlzu-
                 gehen brauchen. 31

                 Um solche Eigenmächtigkeiten hintanzuhalten, begrüßte Schönberg
            1926 sogar die Entwicklung mechanischer Musikinstrumente bzw.
                 die mechanische Erzeugung der Töne und ihre definitive Fixierung
                 hinsichtlich ihrer Höhe und Dauer und ihres Verhältnisses zur Zeit-
                 teilung [...]. Denn das wirklich Gedachte, der musikalische Gedanke,
                 das Unveränderliche, ist in dem Verhältnis der Tonhöhen zur Zeittei-
                 lung festgelegt. 32
            29   Eine Kopie der Aufnahme von Teilen der Dante-Sonate von Franz Liszt, eingespielt
                 auf dem genannten Cembalo, wurde an Prof. Jernej Weiss übergeben.
            30   Arnold Schönberg, „Die vereinfachte Studier- und Dirigierpartitur“ (1917), ASSV
                 3.1.1.10., erstmals publiziert in: Arnold Schönberg, Vier Lieder op. 22 für Gesang und
                 Orchester. Vereinfachte Studier- und Dirigierpartitur (hiezu ein Vorwort)  (Wien–
                 Leipzig: Universal-Edition, 1917).
            31   Brief an Fritz Reiner vom 29. Oktober 1944. Arnold Schönberg, Briefe. Ausgewählt
                 und Hrsg. Erwin Stein (Mainz: B. Schott’s Söhne, 1958), 232.
            32   Arnold Schönberg, „Mechanische Musikinstrumente [ASSV 3.1.1.17.]“,  Pult und
                 Taktstock 3, Heft 3/4 (März–April 1926): 71–5, hier 71.


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