Page 67 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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die etwas andere „wiener schule“: eduard steuermann und seine lemberger schüler
                 In Lemberg nahm Steuermann allerdings seinen wichtigsten ersten
            Musikunterricht, regelmäßig aus Sambor zu den Stunden von Vilém Kurz
            reisend. Diese Ausbildung begann 1902 und dauerte bis zum Jahre 1910.
                 Hiermit gebührt dieser bedeutenden Persönlichkeit in der Klavierpä-
            dagogik, welche Vilém Kurz (1872–1945) war, eine ausführlichere Beschrei-
            bung. Sechs Jahre nach seinem Examen am Prager Konservatorium kam
            der tschechische Pianist nach Lemberg und war in den Jahren 1898 bis 1919
            als Professor am Konservatorium der Galizischen Musikgesellschaft tätig.
            Gerade in dieser Zeit in entwickelte V. Kurz die Grundlagen seiner Kla-
            vierpädagogik, womit er später auch in Tschechien berühmt wurde, wo er
            seit 1920 Professor für Klavier am Prager Konservatorium und über gewis-
            se Zeit auch deren Rektor war.
                 Vilém Kurz brachte ganz andere Zugänge in der Entwicklung der
            Klavierkunst in Galizien, die mehrere Jahrzehnte unter der Einfluss Ca-
            rol Mikuli (1821–1897) stand. С. Mikuli war Schüler von Frédéric Chopin
            und wohl einer der ersten Klavierpädagogen, der auch die Chopins Metho-
            den tiefgreifend erfasste. Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewannen
            in Galizien zunehmend alternative Strömungen des europäischen Klavier-
            spiels an Einfluss. Besonders der virtuos-effektvolle Stil von Liszt fand An-
            klang, selbst bei ehemaligen Schülern Mikulis. So wurde Ludwig Marek
            (1837–1893), nachdem er bei Liszt studiert hatte, zu einem aktiven Verfech-
            ter von dessen Methode. L. Marek eröffnete Anfang der 1870er Jahre eine
            eigene Musikschule in Lemberg und betonte, dass der Unterricht auf dem
            neuen, effektiven System von Liszt basieren müsse. Für die jungen Musi-
            ker, die die nationale Entwicklung vorantrieben, galt das strenge Festhal-
            ten an Chopins Stil als überholt, und sie suchten nach neuen Wegen in der
            Kunst. Diesbezüglich waren V. Kurz´ innovative Zugänge zum Klavierun-
            terricht am Anfang des 20. Jahrhunderts in Lemberg höchst aktuell und
            willkommen.
                 Auch wenn sein Unterricht wenig inspirierend gewesen sein soll, wie
            E. Steuermann selber einmal erwähnte, veröffentlichte er im Jahr 1933 zum
            60. Geburtstag seines Lehrers einen Artikel mit einer gründlichen und res-
            pektvollen Analyse seiner klavierpädagogischen Grundsätze sowie mit der
            Feststellung, dass die Entwicklung des (von V. Kurz erworbenen) musikali-
            schen Wissens zu dem geführt hat, was man als „radikal“ (Schönberg) be-
            zeichnet. E. Steuermann


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