Page 70 - Weiss, Jernej, ur. 2018. Nova glasba v “novi” Evropi med obema svetovnima vojnama ?? New Music in the “New” Europe Between the Two World Wars. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 2
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nova glasba v »novi« evropi med obema svetovnima vojnama

1920er Jahre zum Schlagwort. 1925 sprach der junge Ernst Krenek, der da-
mals an seiner Oper Jonny spielt auf arbeitete, davon, daß „die Kunst gar
nichts so Wichtiges vorstellt, wie wir immer gerne glauben möchten. [...]
Vivere necesse est, artem facere non“, d.h. viel wichtiger als die Kunst ist
das Leben.8 Die Gebrauchsmusik war ein künstlerisches und zugleich ein
soziologisches Phänomen. In der Abkehr von der Spätromantik veränder-
te sich das schöpferische Selbstverständnis des Komponisten grundsätzlich
und zunehmend wandte sich das kompositorische Denken von der Idee ei-
ner l`art pour l`art zu einer funktionalen Musik, die einem neuen, breiten
Hörerkreis dienen wollte.

Die Gebrauchskunstbewegung der 1920er Jahre ist im Zusammenhang
und als Reaktion auf die Krise im Kulturleben Deutschlands in der Wei-
marer Zeit zu sehen, die wiederum bedingt war durch die Auswirkungen
der wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen nach dem Ersten Welt-
krieg und die vehemente Inflation. Die sich allmählich stabilisierende po-
sitive wirtschaftliche Entwicklung, die durch die Sanierung der deutschen
Währung im Jahre 1923 eingeleitet wurde, bewirkte zugleich eine Neuori-
entierung im kulturellen Bereich. Die früheren Träger und Rezipienten des
öffentlichen Kulturlebens, das Bildungsbürgertum, hatten kein Geld und
kamen immer weniger als Publikum der öffentlichen Veranstaltungen in
Konzert und Oper in Betracht. Die am wirtschaftlichen Aufschwung par-
tizipierende neue gesellschaftliche Mittelschicht war kulturell anders gebil-
det und orientiert, interessierte sich nicht für den traditionellen Bildungs-
kanon und konnte deshalb die bisherigen öffentlichen Strukturen nicht
weiter tragen. Kurt Weill beobachtete eine „Umschichtung des Publikums
und folgerte, daß die musikalische Produktion eine neue Existenzberech-
tigung gewinnen muß“.9 Der neue Publikumsgeschmack richtete sich auf
leichtere Kost. Operette und Revue erlebten einen Aufschwung, ebenso die
neue Unterhaltungsmusik in Kaffeehäusern, Tanzetablissements, auf Bäl-
len und Festen und nicht zuletzt in den Kinos.

Die Entwicklung hin zu einer Gebrauchsmusik betraf natürlich nicht
die gesamte zeitgenössische Musik der 1920er Jahre, beispielsweise nur be-
dingt die der Zweiten Wiener Schule, obgleich die moderne Tanz- und Un-

8 Ernst Krenek, „Musik in der Gegenwart“. Vortrag, gehalten am 19. Oktober 1925 auf
dem Kongreß für Musikästhetik in Karlsruhe, in 25 Jahre neue Musik. Jahrbuch 1926
der Universal-Edition (Wien/Leipzig/New York: Universal-Edition, 1926), S. 58f.

9 Kurt Weill, „Fünf Jahre ‚Der deutsche Rundfunk’“, in: Ders., Stephen Hinton/Jür-
gen Schebera, Hrsg., Musik und Theater. Gesammelte Schriften (Berlin: Henschelver-
lag Kunst und Gesellschaft, 1990), S. 274f.

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