Page 81 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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die wiener volksoper als „nationale spielstätte“

Am 2. Juni lesen wir jedoch, daß nicht genügend Anteilscheine ver-
kauft wurden und daher „mit der Aufnahme der Vorstellungen im Jubilä-
ums=Theater noch ein Jahr zuzuwarten“35 wäre. „Herr Rainer Simons [...]
hat bereits Wien verlassen.“36 Bereits am 5. Juni erscheint dann die Nach-
richt, „daß [laut einer Nachricht des Präsidiums des Vereins] das Projekt,
bereits in der Spielzeit 1903 bis 1904 die Volksoper im genannten Theater zu
inaugurieren, nahezu gesichert erscheint“37, und am 7. Juni lesen wir, daß
Direktor Simons „gestern wieder in Wien eingetroffen“ ist und „neuerliche
Verhandlungen mit Direktor Müller=Guttenbrunn angeknüpft“38 hat. Er
sei „lediglich zu kurzer Erholung nach seiner Besitzung an den Tegernsee
abgereist“.39 Am 8. Juni wird schließlich der Hintergrund der Verwirrung
klar: Direktor Müller=Guttenbrunn hat diese Falschmeldung in die Welt
gesetzt, die jetzt von der offiziellen „Rathaus=Korrespondenz“ korrigiert
wird: „die Volksoper wird zweifellos in der Saison 1903—1904 ihre Spieltä-
tigkeit beginnen“.40

Am 13. Juni wird dann berichtet, daß „Director Müller=Guttenbrunn
dem Antrag Director Rainer Simon’s, das Jubiläumstheater gemeinsam
zu leiten, angenommen [hat].“41 Seine Intrige wird dann aber in der „Ex-
trapost“ noch zum Gegenstand eines breiten Kommentars, aus dem ein
Satz zitiert sein soll: „Den überlegenen Kompagnon fürchtete er, obwohl es
sich bereits längst zeigte, wie wenig Befähigung Herr Müller=Guttenbrunn
zur Theaterleitung hatte.“42 Politischer wird es in der „Reichspost“:

Die Vertreter der Gemeinde werden dabei einen tüchtigen The-

ater=Fachmann kennen lernen, denn nur die eine Richtschnur

wird vor Augen zu halten sein: daß Opern von jüdischen Kom-

ponisten und Librettisten nicht zur Aufführung gebracht und jü-

dische Kunstkräfte nicht engagiert werden dürfen, weil das Jubilä-

ums=Theater ausdrücklich zur Förderung christlicher Autoren und

35 Die Zeit Nr. 242, 2. Juni 1903, S. 3.
36 Neues Wiener Tagblatt Nr. 150, 2. Juni 1903, S. 11.
37 Neues Wiener Tagblatt Nr. 153, 5. Juni 1903, S. 7. Auch andere Blätter bringen diese

Nachricht.
38 Neues Wiener Tagblatt Nr. 155, 7. Juni 1903, S. 11.
39 Die Zeit Nr. 245, 5. Juni 1903, S. 3.
40 Extrapost Nr. 1114, 8. Juni 1903, S. 3.
41 Die Zeit Nr. 253, 13. Juni 1903, S. 3.
42 Extrapost Nr. 1117, 29. Juni 1903, S. 4.

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