Page 83 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
P. 83
die wiener volksoper als „nationale spielstätte“
Der neue Direktor des Theaters ist ein Ausländer, Rainer Simons
aus Düsseldorf. Von ihm haben wir Naivetäten der gekennzeich-
neten Art nicht zu erwarten, hingegen mußten wir vorgestern aus
einem liberalen Blatt erfahren, daß der neue Mann ein Judenstück
erworben hat. Eine Berichtigung dieser Nachricht ist nicht erfolgt,
gestern haben wir aber privatim erfahren, daß bei dem Vertrags-
abschluß mit Herrn Rainer Simons die Forderung nach dem Aus-
schluß von Juden und von jüdischen Darstellern fallen gelassen
worden ist. Damit hat Wien die durch viele Opfer der Gemeinde
und zahlreicher christlicher Parteimänner geschaffene christliche
Bühne verloren.
Für die christliche Bevölkerung Wiens, welche in den letzten Jah-
ren Herr im eigenen Hause geworden ist, erscheint die Tatsache
gewiß nicht gleichgültig und sie hat ein Recht zu fragen: Wer hat
das Jubiläumstheater den Absichten seiner Gründer und Erbauer
entfremdet, mit anderen Worten also: es den Juden in die Hände
gespielt?
Herrn Direktor Rainer Simons, der ein Namenschrist ist, wie tau-
send andere, trifft diese Verantwortung am allerwenigsten. [...] Am
Anfang waren nämlich alle Vorstandsmitglieder dieses Vereines
stramm für ein Theater ohne Juden, später fanden sich Stimmen,
welche meinten, man könne das Geld für das Theater von Juden
nehmen und Opern auch von Juden aufführen. [...] Nun fragen wir
[...]: Warum hat die Vereinsleitung die christliche Grundlage des
Theaters verläugnet ? Warum hat sie nicht Herrn Rainer Simons,
der ohne Juden nicht regieren wollte, abgelehnt und einen Direk-
tor gesucht, der das Theater der christlichen Wiener Bürger auf
der vereinbarten christlichen Grundlage weiterzuführen bereit war
? Solche Bewerber hätte es gewiß gegeben, denn schon der Volk-
soperntheater=Verein, dessen Bestrebungen noch etwas nebulos
waren, hatte solche Offerte erhalten: Offerte für die Führung eines
judenreinen Theaters. Wer hat den antisemitischen Stadtrat der-
art über den philosemitischen Direktor informiert, daß diese merk-
würdige Ehe zu Stande kam ? [...]
Am 9. Juli aber stand in unserem Blatt zu lesen: [...] ,Ein tüchtiger
Theaterfachmann ist Rainer Simons jedenfalls. Ob er auch ein
vom Judengeiste freies Schauspielhaus in der richtigen Weise leiten
wird, hängt vielleicht weniger von ihm ab, als davon, daß ihm die
81
Der neue Direktor des Theaters ist ein Ausländer, Rainer Simons
aus Düsseldorf. Von ihm haben wir Naivetäten der gekennzeich-
neten Art nicht zu erwarten, hingegen mußten wir vorgestern aus
einem liberalen Blatt erfahren, daß der neue Mann ein Judenstück
erworben hat. Eine Berichtigung dieser Nachricht ist nicht erfolgt,
gestern haben wir aber privatim erfahren, daß bei dem Vertrags-
abschluß mit Herrn Rainer Simons die Forderung nach dem Aus-
schluß von Juden und von jüdischen Darstellern fallen gelassen
worden ist. Damit hat Wien die durch viele Opfer der Gemeinde
und zahlreicher christlicher Parteimänner geschaffene christliche
Bühne verloren.
Für die christliche Bevölkerung Wiens, welche in den letzten Jah-
ren Herr im eigenen Hause geworden ist, erscheint die Tatsache
gewiß nicht gleichgültig und sie hat ein Recht zu fragen: Wer hat
das Jubiläumstheater den Absichten seiner Gründer und Erbauer
entfremdet, mit anderen Worten also: es den Juden in die Hände
gespielt?
Herrn Direktor Rainer Simons, der ein Namenschrist ist, wie tau-
send andere, trifft diese Verantwortung am allerwenigsten. [...] Am
Anfang waren nämlich alle Vorstandsmitglieder dieses Vereines
stramm für ein Theater ohne Juden, später fanden sich Stimmen,
welche meinten, man könne das Geld für das Theater von Juden
nehmen und Opern auch von Juden aufführen. [...] Nun fragen wir
[...]: Warum hat die Vereinsleitung die christliche Grundlage des
Theaters verläugnet ? Warum hat sie nicht Herrn Rainer Simons,
der ohne Juden nicht regieren wollte, abgelehnt und einen Direk-
tor gesucht, der das Theater der christlichen Wiener Bürger auf
der vereinbarten christlichen Grundlage weiterzuführen bereit war
? Solche Bewerber hätte es gewiß gegeben, denn schon der Volk-
soperntheater=Verein, dessen Bestrebungen noch etwas nebulos
waren, hatte solche Offerte erhalten: Offerte für die Führung eines
judenreinen Theaters. Wer hat den antisemitischen Stadtrat der-
art über den philosemitischen Direktor informiert, daß diese merk-
würdige Ehe zu Stande kam ? [...]
Am 9. Juli aber stand in unserem Blatt zu lesen: [...] ,Ein tüchtiger
Theaterfachmann ist Rainer Simons jedenfalls. Ob er auch ein
vom Judengeiste freies Schauspielhaus in der richtigen Weise leiten
wird, hängt vielleicht weniger von ihm ab, als davon, daß ihm die
81