Page 89 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2023. Glasbena društva v dolgem 19. stoletju: med ljubiteljsko in profesionalno kulturo ▪︎ Music societies in the long 19th century: Between amateur and professional culture. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 6
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funktionen der musikvereine in einem multinationalen, soziokulturellen umfeld ...

die die Übertragung auf die Ferne mit elektromagnetischen Wellen vor-
sahen, sowie zukünftige Radiokonzerte, die bereits in den 20er Jahren des
zwanzigsten Jahrhunderts gestartet wurden.19

Eine weitere wichtige Person in der Tätigkeit des GMV war der Direk-
tor des Vereines in Jahren 1899–1929, der bedeutende polnische Komponist
und Dirigent Mieczyslaw Sołtys (1863–1929). Er studierte zuerst bei Miku-
li am Konservatorium GMV, dann setzte seine Studien in Wien bei Franz
Krenn dort, danach ging nach Paris, um sich noch bei Camille Saint-Saens
und Eugène Gigout professionell zu vervollständigen. Als er im akademi-
schen Jahr 1891/1892 nach Lemberg zurückkehrte, begann er eine mannig-
faltige berufliche Tätigkeit: Er unterrichtete Klavier am Konservatorium
GMV, arbeitete gleichzeitig am Frauenseminar und begann seine Tätig-
keit als Musikkritiker. In den Jahren 1886–1888 war er künstlerischer Lei-
ter und Chefdirigent des Lemberger Männerchores Echo, seit 1893 war er
künstlerischer Leiter der Musikgesellschaft für Instrumentalmusik Har­
monie, Vizedirektor und zweiter Dirigent in der Musik- und Gesangsge-
sellschaft Laute. M. Sołtys hatte eine schwierige Mission, die Gesellschaft
und das Konservatorium in einer dunklen historischen Zeit zu führen. In
den 30 Jahren, in denen er an der Spitze der wichtigsten musikalischen Or-
ganisation Galiziens stand, fanden eine Reihe den radikalen soziohistori-
schen Veränderungen statt: Er erlebte zusammen mit dem GMV und dem
Konservatorium den Ersten Weltkrieg, ethnische Konflikte in Galizien, die
Bildung der Zweiten Rzecz Pospolita, Finanzkrisen ... Trotzdem gelang es
ihm, äußerst wichtige Veränderungen in der beruflichen Entwicklung von
GMV vorzunehmen. Unter ihnen sollte besonderes Augenmerk darauf ge-
legt werden: der B au eines neuen Gebäudes des Konservatoriums im Jahr
1908, die Vorbereitung und Realisation einer historischen Jubiläumsfeier
zum 100. Jahrestag der Geburt von F. Chopin im Jahr 1910, die Erweiterung
des Angebots an musikalischen Spezialitäten und mehrere andere bedeu-
tende Leistungen.

Sein Sohn Adam Sołtys (1895–1968), der die Leitung des Vereins vom
Vater übernommen hat, war schon der letzte Person, der in Jahren 1929–
1939 den Verein und das Konservatorium leitete. Er – ähnlich wie seine
Vorgänger – war hochgebildeter Musiker, je mehr, die Familienbedingun-
gen waren besonders günstig für seine musikalische Erziehung. Denn er-
teilte ihm schon im 6 Jahre der Vater Unterricht in Violine und Musikthe-

19 Gazeta Lwowska, 3. Mai 1881, 25. Mai 1881, 28. Mai 1881; Mazepa und Mazepa. Der
Weg zur Musikakademie, 53.

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