Page 40 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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diskreditiert hat. Er schrieb ihm die Verantwortung für den Typus des
„elegante[n] Kapellmeister[s] neuesten Schlages“ zu, der sich mit dem Vir-
tuosen assoziiere. Weiter überhäufte Wagner den Dirigenten Mendelssohn
mit antisemitischen Vorurteilen vom „Musikbankier“ bis hin zur „After-
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bildung“. So war diese Schrift Wagners möglicherweise in ihrem Anti-
semitismus noch wirkungsvoller als Das Judentum in der Musik, denn sie
galt als grundlegend für einen modernen Dirigenten. In Felix Weingart-
ners gleichnamiger Schrift Über das Dirigieren ist zu lesen, dass Hans von
Bülow
einerseits der philiströsen, metronomischen Taktschlägerei, anderer-
seits dem seit Mendelssohn üblichen `eleganten` Dirigieren, wobei über
schwierige Stellen durch ein möglichst flottes Tempo glatt hinwegge-
huscht wurde, gleichsam einen Faustschlag versetzen wollte. 20
Bereits Wagner hatte Mendelssohn vor allem sein zügiges, schnelles
Tempo vorgeworfen, dies wurde zu einem Stereotyp der Mendelssohnschelte.
Langsames, gewichtiges Tempo wurde bevorzugt, es diente der kunst-
religiösen Überhöhung der Musik als tiefgründiger Offenbarung der Wahr-
heit. Leitfigur dafür war Beethoven, ausgehend vom romantischen Beetho-
ven-Bild, das insbesondere Wagner stark gefördert hat. Es blieb bis weit
ins 20. Jahrhundert dominant, wirksam bis heute. Einen entscheidenden
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Bruch bildete das Jubiläumsjahr 1970, als die „68er-Bewegung“ revoluti-
onierte und ihre Kritik gerade am langsamen Tempo einschlägiger Star-
dirigenten festmachte. Hinweise auf Mendelssohn blieben dabei aus. Es
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war vielmehr die Genderforschung, die auf Parallelen in Beschreibungen
der Dirigate von Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy hinge-
wiesen hat und darin auf Attribute gestoßen ist, „die noch nach heutigen
18 Donald Mintz, „Mendelssohn as Performer and Teacher“, in The Mendelssohn Com-
pagnion, Hrsg. Douglas Seaton (London: Greenwood, 2001), 87–142; 89: „According-
ly, Wagner’s comments about Mendelssohn’s conducting cannot be believed and in-
deed can often be proved false.“
19 Richard Wagner, „Über das Dirigieren (1869)“, in: Richard Wagner, Sämtliche Schrif-
ten und Dichtungen. Volks-Ausgabe, Bd. 8 (Leipzig: Breitkopf & Härtel, s.a.), 261–337,
hier 268, 266 und 314.
20 Felix Weingartner, Über das Dirigieren, 2. Auflage (Berlin: S. Fischer Verlag, 1896),
17.
21 Helmut Loos, „Leitfigur Beethoven. Anmerkungen zur deutschen Musikwissen-
schaft im Zeichen der 1968er-Bewegung“, Die Musikforschung 69 (2016): 133–42.
22 Helmut Loos, „Das Beethoven-Jahr 1970“, in Beethoven 2. Studien und Interpretati-
onen, Hrsg. Mieczyslaw Tomaszewski und Magdalena Chrenkow (Kraków: Akade-
mia Muzyczna, 2003), 161–9.
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