Page 42 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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                 romantische oder juristische Händel verwickelt. Streitschriften flossen
                 ihm nur so aus der Feder, Kompositionen ebenso. 28
                 Hans von Bülow war Ziel von Weingartners Streitschrift Über das Di-
            rigieren, indem er ihm „Sensationsmacherei in der Musik“ vorwarf und in
            der letzten Periode seines Wirkens den
                 Hang, jede Faser des Kunstwerks blosszulegen und zu demonstrieren,
                 […] dabei war er mehr als früher abhängig von seinen Stimmungen und
                 Launen und das führte ihn oft zu Absonderlichkeiten, welche gar kei-
                 nen, nicht einmal mehr einen pädagogischen Zweck hatten. 29
                 Bereits 1913 wies Georg Schünemann darauf hin, „daß Weingartner
            für diese Eigenmächtigkeiten, denen Wagners Theorie Tor und Haus geöff-
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            net hat, das Wort ‚Bülowiaden‘ geprägt hat.“  Im Vergleich mit Richard
            Strauss und Arthur Nikisch schreibt Schünemann: „Ruhiger, ebenmäßi-
            ger da zurückhaltender ist Weingartners Direktion, Sie gilt vielen als die be-
            rufenste Auslegung der Klassiker und bildet gleichsam eine Reaktion gegen
            Bülow.“ 31
                 Mehr noch als die bloße Dirigiertechnik interessierte Weingartner die
            Einrichtung des Aufführungsmaterials von Orchesterwerken durch Retu-
            schen und Instrumentierungsänderungen. Detaillierte Untersuchungen
            zur musikalischen Umsetzung im Vergleich von Gustav Mahler und Fe-
            lix Weingartner gibt es inzwischen zu Beethovens Neunter Sinfonie  und
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            seiner Oper Fidelio , die auf eine Akzentuierung von Wirkungstreue ver-
            sus Stiltreue hinauslaufen. In den Publikationen  Ratschläge für Auffüh-
            rungen klassischer Symphonien hat Weingartner sich nicht nur Beethoven
            (Bd. 1, 1906) zugewandt, sondern weiter Schubert und Schumann (Bd. 2,
            28   Lebrecht,  Der Mythos vom Maestro, 33.
            29   Ibid., 24.
            30   Georg Schünemann, Geschichte des Dirigierens. Mit vielen Orchesterplänen [Klei-
                 ne Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen, Bd. 10] (Leipzig: Breitkopf &
                 Härtel, 1913), 342.
            31   Ibid., 344.
            32   Silvan Moosmüller, „Stiltreues und wirkungstreues Interpretieren. Felix Weingart-
                 ner, Gustav Mahler und die neunte Symphonie Ludwig van Beethovens“, in Im Mass
                 der Moderne. Felix Weingartner – Dirigent, Komponist, Autor, Reisender, Hrsg. Si-
                 mon Obert und Matthias Schmidt (Basel: Schwabe Verlag, 2009), 327–49, hier 346.
            33   Lena-Lisa Wüstendörfer, „Streit um Fidelio. Felix Weingartner und Gustav Mahler
                 im Disput um Werktreue“, in Rund um Beethoven. Interpretationsforschung heute,
                 Hrsg. Thomas Gartmann und Daniel Allenbach (Schliengen: Edition Argus, 2019),
                 238–47, hier 245.


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