Page 41 - Weiss, Jernej, ur./ed. 2025. Glasbena interpretacija: med umetniškim in znanstvenim┊Music Interpretation: Between the Artistic and the Scientific. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 8
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der dirigent. anspruch und wirkung
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            Klischees eher weiblich konnotiert sind.“  Dies stimmt mit meiner aus der
            Lektüre der Briefe Mendelssohns gewonnener Einschätzung überein, dass
            Mendelssohn

                 in jeder Hinsicht dem modernen Bild des Künstlers als gesellschaftli-
                 cher, einer absoluten Subjektivität verpflichteter Leitfigur, im Sinne ei-
                 nes rücksichtslos seine Ziele verwirklichenden Mannes
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            widersprach.  Er entsprach als Dirigent also nicht dem männlichen Ideal-
            typus eines einspruchslose Unterwerfung fordernden Herrschers.
                 Felix Weingartner ist von Curt Paul Janz als Künstler der natürlichen
            Autorität bezeichnet,  anderweits auch „the First Modern Conductor“ ge-
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            nannt worden.  Wie er selbst seine gesellschaftliche Position eingeschätzt
            haben dürfte, lässt sich in seiner Schrift über das Dirigieren erkennen,
            wenn er über Wagner schreibt:
                 Das gewöhnliche, sich immer wiederholende Schicksal alles Neuen und
                 über die Mediocrität Erhabenen in dieser Welt! – Die Pygmäen fürch-
                 ten, von dem Riesen, welcher plötzlich unter ihnen erscheint, zertre-
                 ten zu werden und in ihrer Angst stechen sie ihm in die Fußsohlen. […]
                 Ist er nun tapfer hindurchgeschritten und weilt er nicht mehr im Pyg-
                 maeenlande, dann fällt das Völkchen auf die Kniee, betet ihn als Gott
                 an und ist selig, sich seines Lebens freuen und noch ein wenig weiter he-
                 rumkrabbeln zu dürfen. 27

                 Zweifellos zählte sich Weingartner selbst als Komponist und Dirigent
            zu den Auserwählten, über die Mediocrität Erhabenen. Nicht genug, legte
            er sich mit anerkannten Autoritäten an, die er zu korrigieren und zu über-
            treffen trachtete. Norman Lebrecht charakterisiert ihn so:
                 Jähzornig, streitsüchtig, lasterhaft und fünfmal verheiratet, war der blei-
                 che, schlaksige Aristokrat ununterbrochen in irgendwelche intellektuelle,
            23   Cornelia Bartsch, „«Pultvirtuose» und «Lady of the bâton». Vergeschlechtlichte
                 Körperbilder des Dirigierens“, in DirigentenBilder. Musikalische Gesten – verkörper-
                 te Musik, Hrsg. Arne Stollberg, Jana Weißenfeld und Florian Henri Besthorn (Basel:
                 Schwabe Verlag, [2015]), 311–45, bes. 313, 329.
            24   Helmut Loos, „Der Briefeschreiber“, in Mendelssohn Handbuch, Hrsg. Christiane
                 Wiesenfeld (Kassel, Berlin: Bärenreiter, J. B. Metzler, 2020), 83–90, hier 89.
            25   Simon Obert und Matthias Schmidt, Hrsg., Im Mass der Moderne. Felix Weingartner
                 – Dirigent, Komponist, Autor, Reisender (Basel: Schwabe Verlag, 2009), 86.
            26   Jon Ceander Mitchell, The Braunschweig scores. Felix Weingartner and Erich Leins-
                 dorf on the first four symphonies of Beethoven (Lewiston-Queenston-Lampeter: Ed-
                 win Mellen Press, 2005), 7.
            27   Weingartner,  Über das Dirigieren, 2.


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