Page 36 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
P. 36
vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju
die Montagetechnik in den 1960er Jahren als tragendes Prinzip des Werkes
erkannt wurde. Das Werk thematisiert visionär vorwegnehmend die Kata-
strophen des 20. Jahrhunderts
Bei Hans Werner Henze kann das Erfolgsgeheimnis ebenfalls darin
gesehen werden, dass die traditionelle Oper den Angelpunkt seiner Werke
darstellt, er jedoch zugleich mit seinen literarischen Partnern „eine Außen-
seiterposition jenseits vorherrschender Zeitströmungen“ einnahm. König
Hirsch (1956) ist bekanntlich eine bewusste Distanzierung von der „damals
tonangebenden Darmstädter Avantgarde“.49 Die Werke, die gemeinsam
mit Ingeborg Bachmann entstanden, können als ähnlich inkommensura-
bel angesehen werden.
Wie Henze mit König Hirsch ein „totales Theater“ im Visier hatte,
hatte es Bernd Alois Zimmermann mit den Soldaten nach Jakob Micha-
el Reinhold Lenz. Wie Jörn Peter Hiekel darlegt, ist die Zeitstruktur zu-
gleich „Vergegenwärtigung einer eminenten Konflikthaftigkeit“. Es geht
darum, dass „alle Personen ‚untentrinnbar in eine Zwangssituation gera-
ten“.50 Durch Simultanszenen wird bereits im zweiten, aber besonders im
vierten Akt die Einheit der Zeit aufgehoben in die Linearität gesprengt, was
die Gattungskonventionen deutlich überschreitet. Als Meilenstein der Ent-
wicklung des Musiktheaters der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss
angesehen werden, dass mit Einstein on the Beach keine Handlung mehr
die Grundlage war.51 Durch die enge Kooperation mit Wilson kam es zu ei-
ner Gleichberechtigung von Bild und Klang, was mit einem Bedeutungs-
verlust von Sprache und Text einherging. Wolfgang Rihm hat durch Aus-
einandersetzung mit Artaud sein Bühnenschaffen entwickelt.52 Auch Rihm
verzichtet auf traditionelles Plot und Handlung, wie etwa in Die Eroberung
von Mexiko. Werden hier Repertoirestücke in ihrer experimentellen Di-
49 Arnold Jakobshagen, „Vergangenheit am Schlachtensee – Hans Werner Henze zwi-
schen Oper und „imaginärem Theater““, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider,
ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 137.
50 Vgl. Jörn Peter Hiekel, „„Pluralistisches“ Musiktheater als Ausdruck der Katastro-
phe – Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten“, in: Frieder Reininghaus und
Katja Scheider, ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004),
141.
51 Vgl. Sabine Sanio, „Ein unverhoffte Ausweg – Einstein on the Beach von Philip Glass
als postdramatisches Musiktheater“, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider,
ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 192–195.
52 Vgl. Gerhard R. Koch, „Erprobung und Bewährung radikaler Kulturgesten – Wolf-
gang Rihms Kraftakte“, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider, ed., Experimen-
telles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 198–202.
34
die Montagetechnik in den 1960er Jahren als tragendes Prinzip des Werkes
erkannt wurde. Das Werk thematisiert visionär vorwegnehmend die Kata-
strophen des 20. Jahrhunderts
Bei Hans Werner Henze kann das Erfolgsgeheimnis ebenfalls darin
gesehen werden, dass die traditionelle Oper den Angelpunkt seiner Werke
darstellt, er jedoch zugleich mit seinen literarischen Partnern „eine Außen-
seiterposition jenseits vorherrschender Zeitströmungen“ einnahm. König
Hirsch (1956) ist bekanntlich eine bewusste Distanzierung von der „damals
tonangebenden Darmstädter Avantgarde“.49 Die Werke, die gemeinsam
mit Ingeborg Bachmann entstanden, können als ähnlich inkommensura-
bel angesehen werden.
Wie Henze mit König Hirsch ein „totales Theater“ im Visier hatte,
hatte es Bernd Alois Zimmermann mit den Soldaten nach Jakob Micha-
el Reinhold Lenz. Wie Jörn Peter Hiekel darlegt, ist die Zeitstruktur zu-
gleich „Vergegenwärtigung einer eminenten Konflikthaftigkeit“. Es geht
darum, dass „alle Personen ‚untentrinnbar in eine Zwangssituation gera-
ten“.50 Durch Simultanszenen wird bereits im zweiten, aber besonders im
vierten Akt die Einheit der Zeit aufgehoben in die Linearität gesprengt, was
die Gattungskonventionen deutlich überschreitet. Als Meilenstein der Ent-
wicklung des Musiktheaters der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss
angesehen werden, dass mit Einstein on the Beach keine Handlung mehr
die Grundlage war.51 Durch die enge Kooperation mit Wilson kam es zu ei-
ner Gleichberechtigung von Bild und Klang, was mit einem Bedeutungs-
verlust von Sprache und Text einherging. Wolfgang Rihm hat durch Aus-
einandersetzung mit Artaud sein Bühnenschaffen entwickelt.52 Auch Rihm
verzichtet auf traditionelles Plot und Handlung, wie etwa in Die Eroberung
von Mexiko. Werden hier Repertoirestücke in ihrer experimentellen Di-
49 Arnold Jakobshagen, „Vergangenheit am Schlachtensee – Hans Werner Henze zwi-
schen Oper und „imaginärem Theater““, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider,
ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 137.
50 Vgl. Jörn Peter Hiekel, „„Pluralistisches“ Musiktheater als Ausdruck der Katastro-
phe – Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten“, in: Frieder Reininghaus und
Katja Scheider, ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004),
141.
51 Vgl. Sabine Sanio, „Ein unverhoffte Ausweg – Einstein on the Beach von Philip Glass
als postdramatisches Musiktheater“, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider,
ed., Experimentelles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 192–195.
52 Vgl. Gerhard R. Koch, „Erprobung und Bewährung radikaler Kulturgesten – Wolf-
gang Rihms Kraftakte“, in: Frieder Reininghaus und Katja Scheider, ed., Experimen-
telles Musik und Tanztheater (Laaber: Laaber, 2004), 198–202.
34