Page 43 - Weiss, Jernej, ur. 2019. Vloga nacionalnih opernih gledališč v 20. in 21. stoletju - The Role of National Opera Houses in the 20th and 21st Centuries. Koper/Ljubljana: Založba Univerze na Primorskem in Festival Ljubljana. Studia musicologica Labacensia, 3
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neue musik auf österreichischen bühnen ...

genen ernüchternden Erfahrungen hinsichtlich der Bestialität Ein-
zelner und der mitleidlosen Brutalität der Masse.70
Lang versteht das Stück denn auch als „Aufruf und Warnung vor der
Wiederholung ähnlicher Geschehnisse“.71 Stefan Bodo Würffel stellt Dan-
ton in den Kontext der Revolutionsoper und attestiert ihr vor diesem Hin-
tergrund in ähnlicher Weise Aktualität.72 Diese Interpretation verschweigt
allerdings, was die Oper unbehaglich macht: die fehlende Stellungnah-
me. Weniger das Fatalismus-Zitat als die Tatsache, dass sich sowohl die
NS-Herrschaft selbst als auch die Widerstandsbewegung als gescheiterte
Revolution verstehen lassen, stimmt nachdenklich. Denn Büchners Dra-
ma zeichnet in seiner Allgemeinheit „das Porträt einer Bewegung, die sich
zum Zeitpunkt der Handlung an einem toten Punkt befindet, die sich in
blutrünstigen Terror verwandelt hat und dem Volk keine Verbesserung sei-
ner Situation, sondern statt Brot nur rollende Köpfe zu bieten hat.“73 Dass
dieser Umstand dem Werk vielleicht auch Gegnerschaft erspart, lässt diese
Ambivalenz umso unbehaglicher erscheinen. Sie korrespondiert allerdings
mit der Ambivalenz der Situation selbst aus der Sicht des Komponisten, wie
auch der berühmte Schluss, das sentimentale Lied der Henker, zeigt. „Ich
wollte damit beweisen“, schreibt Einem, „dass die größten KZ-Henker und
Bürokraten des Todes durchaus zu menschlichen Rührungen fähig waren,
wie es ja auch Beispiele gibt, dass ein KZ-Aufseher am Abend seiner Violi-
ne wunderbare Melodien entlockte und ein anderer zu Tränen gerührt war,
wenn er eine Tierquälerei miterleben musste. Das änderte aber nichts da-
ran, dass sie Handlanger des Todes waren. Und diese Abgründigkeit ihres
Charakters, dieser schreckliche Trapezakt zwischen Verbrechen und an-
geblicher Menschlichkeit, der drückt sich in der Musik, in dieser Passa-
ge, aus. Und wenn die Leute sich das einmal genau anhören würden, dann
müssten viele, leider Gottes, bitterlich weinen.“74

70 Andreas Láng, „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod“, in: Andreas Láng und Oliver
Láng, ed., Gottfried von Einem. Dantons Tod (Wiener Staatsoper: Spielzeit 2017/18),
44.

71 Ibid., 44.
72 Stefan Bodo Würffel, „Revolution und Reaktion in der Oper. Gottfried von Einems

Dantons Tod im Lichte unserer Erfahrung“, in: Jürgen Kühnel, Ulrich Müller und
Oswald Panagl, ed., Musiktheater der Gegenwart. Text, Komposition, Rezeption und
Kanonbildung (Salzburg: Mueller-Speiser, 2008) 271–286.
73 Julia Zirkler, „Der Einzelne nur Schaum auf der Welle“, in: Andreas Láng und Oliver
Láng, ed., Gottfried von Einem. Dantons Tod (Wiener Staatsoper: Spielzeit 2017/18),
36.
74 Einem, „Ich träumte, ich wäre Danton“, 22.

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